Fast jeder zweiten Klinik droht das Aus

Nach einer neuen Studie sind vor allem öffentliche Krankenhäuser in der Krise. Profitieren könnten private Ketten

BERLIN taz ■ Viele Patienten müssen sich auf längere Wege ins Krankenhaus gefasst machen. Im Jahr 2020 könnten rund 45 Prozent der Kliniken vor der Pleite stehen. Bereits heute ist jedes fünfte Haus von Schließung bedroht. Dies geht aus einer gestern veröffentlichten Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. Das Institut hat die wirtschaftlichen Daten von 600 repräsentativ ausgewählten Kliniken ausgewertet. Die medizinische Qualität wurde dabei nicht erfasst.

Infolge des Schrumpfens der Bevölkerung und der öffentlichen Mittel ist die Anzahl der Häuser seit Anfang der Neunzigerjahre von 2.300 auf aktuell knapp 2.000 gesunken. Dennoch bleibt der Krankenhaussektor mit jährlich 49 Milliarden Euro größter Ausgabeposten der gesetzlichen Krankenkassen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will im Zuge der Gesundheitsreform eine halbe Milliarde Euro einsparen, die Länder fordern weniger. Die Verhandlungen laufen noch. Die Mehrwertsteuererhöhung und die neuen Tarifverträge für Ärzte verschärfen die Lage vieler Häuser zusätzlich.

Besonders bedroht sind große, öffentlich-rechtliche und Lehrkrankenhäuser. Von deren Misere könnten vor allem private Klinikketten profitieren, indem sie sich die einträglichen Teile einverleiben. Das RWI rechnet damit, dass sich der Anteil privater Kliniken von derzeit 25 auf 45 Prozent erhöht.

Kliniken im Westen Deutschlands schneiden schlechter ab als diejenigen in den neuen Bundesländern. Die ostdeutschen Krankenhäuser wirtschaften überdurchschnittlich erfolgreich, nur 8 Prozent liegen nach RWI-Angaben im „roten Bereich“ – sind also existenzgefährdet. Dabei profitieren Häuser in den alten Bundesländern zurzeit noch davon, dass die Grundpreise für die Behandlung höher sind als im Osten. Wird die Bezahlung 2009 angeglichen, würde das besonders Krankenhäuser in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland stark belasten, schreiben die Wissenschaftler.

Studienleiter Boris Augurzky fordert die Träger auf, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu ergreifen: „Übergebt die wirtschaftlich schlechteren Krankenhäuser ihrem Schicksal.“ Wenn das wirtschaftlich schlechteste Fünftel der Krankhäuser bankrottginge, könnten 3 Milliarden Euro auf die restlichen Kliniken umverteilt werden. Engpässe in der Versorgung sieht Augurzky kaum: „Deutschland ist extrem dicht mit Ärzten und Krankenhäusern ausgestattet.“ Lediglich im ländlichen Raum, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, seien Entfernungen von 50 Kilometern bis zum nächsten Spital vorstellbar.

Für das Personal wird es schon nächstes Jahr eng. Bei den Arbeitgebern ist von einer Nullrunde die Rede. Darauf werde man sich auf keinen Fall einlassen, sagte ein Sprecher der Ärztegewerkschaft Marburger Bund: „Der letzte Tarifabschluss fiel sehr moderat aus, da besteht Nachholbedarf.“ ANNA LEHMANN