Opa erschießen hilft nicht

Eine neue „Schocktabelle“ soll mal wieder zeigen, dass die Jüngeren im Sozialsystem von den Alten ausgebeutet werden. Das ist nicht nur populär, sondern falsch. Es geht um andere Verteilungsfragen

VON BARBARA DRIBBUSCH

Wer kennt nicht diese Bilder: braungebrannte, dicke Rentnerinnen in geblümten Badeanzügen, die am Strand von Mallorca turnen und angeblich die deutschen Sozialkassen ruinieren. Langlebige alte Frauen ohne sexuellen Mehrwert, die es sich auf Kosten der jungen Leute gutgehen lassen – so sieht häufig die Ikonografie zu den Berichten über den „Generationenkrieg“ aus. Gestern goß die Bild-Zeitung Öl ins Feuer.

„Alte kassieren! Junge zahlen nur drauf!“, lautete die Schlagzeile des Boulevardblattes, dazu abgedruckt war die „Schocktabelle zum Sozialsystem“, entnommen einer Studie des Volkswirts Peter Oberender von der Universität Bayreuth. Oberender hat die Einzahlungen in Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für verschiedene Altersgruppen modellhaft errechnet und den Leistungen gegenübergestellt, die Junge und Alte aus diesen Systemen in ihrem Leben voraussichtlich bekommen.

Das Ergebnis der Studie: Wer jünger ist als 45 Jahre, zahlt drauf. So zahlt ein 25-Jähriger im Laufe seines Lebens laut Berechnung 146.080 Euro mehr in die Sozialsysteme ein, als er an Leistung zurückbekommt. Ein 65-Jähriger hingegen erhält 251.240 Euro mehr, als er eingezahlt hat. Intergenerationale Rechnungen dieser Art gab es zwar auch früher schon, doch da betrafen sie nur die Rente und nicht auch die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenkassen.

Studien wie die Oberenders münden allerdings in eine verkürzte Verteilungsfrage. Es wird so getan, als bildeten die Sozialkassen das entscheidende Tauschsystem, in dem die Alten die Jüngeren über den Tisch ziehen, weil sie die politische Mehrheit stellen. Das ist falsch.

Die Rente zum Beispiel ist bekanntlich kein kollektives Sparkonto, sondern ein Umlagesystem zwischen beitragzahlenden Erwerbstätigen und Menschen, die sich zum selben Zeitpunkt im Ruhestand befinden. Wenn die heute 25-Jährigen in vier Jahrzehnten weniger gesetzliche Rente bekommen, dann liegt das daran, dass es voraussichtlich sehr viele Ruheständler gibt und im Verhältnis dazu weniger Erwerbstätige. Das ist aber nicht die Schuld der heutigen RentnerInnen auf Mallorca.

Neben dem sozialversicherungsrechtlichen gibt es zudem immer noch das private Tauschsystem zwischen den Generationen – in Form von Erbschaften beispielsweise. Eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hat überraschenderweise ergeben, dass durch Erbschaften die Vermögensungleichheit in der Gesellschaft „nicht zu- , sondern tendenziell sogar etwas abnimmt“. Gerade Jüngeren, die wenig Geld verdienen, ermöglicht die Erbschaft der rentenfinanzierten Eltern oft erstmals den Aufstieg in die gesicherte Mittelschicht.

Pochte man dennoch aus Gründen der Generationengerechtigkeit auf die sofortige Reduzierung der Ruhestandsgelder, um wenigstens die aktuellen Beiträge für die Jüngeren geringer zu halten, müssten weitere Verteilungsfragen beachtet werden. Der SPD-Sozialexperte Karl Lauterbach hat errechnet, dass Arbeiter indirekt die Renten für Angestellte mitfinanzieren, weil diese im Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen länger leben. Nicht alt und jung, sondern arm und reich machen immer noch den größeren Unterschied.

Doch Rechnungen mit Bezugsdauern sind gefährlich: Frauen leben schließlich im Schnitt länger als Männer. Nach dieser Logik müsste man bei den Rentnerinnen kürzen.

Wer in biologistischen Bahnen denkt und von Rentnerinnen Harakiri verlangt, um das Sozialsystem zu retten, übersieht ein weiteres, ein kulturelles Tauschsystem: Die Alten liefern die Rollenmodelle für die subjektive Zukunft der Jungen. Wir alle wechseln im Tauschgeschäft zwischen Jung und Alt unabänderlich irgendwann mal die Positionen. Verächtliche Bilder von RentnerInnen, heimliche Hetze schüren schon in jungen Jahren die Panik vor dem eigenen Verfall und vor Vergänglichkeit. Dann also doch lieber dicke, alte, fröhliche Frauen am Strand.