Die SPD stellt keine Fragen – steht aber hinter Steinmeier

„Wilde Spekulationen“, „keine Belege“, „ein Fall wie Bad Kleinen 1993“: Die Sozialdemokraten vertrauen im Fall Murat Kurnaz ihrem Außenminister

Nachfragen? KritischeBemerkungen gar? Gibtes an diesem Vormittagim SPD-Präsidium nicht

BERLIN taz ■ Das SPD-Präsidium hat an diesem Montagvormittag ganze Arbeit geleistet. Generalsekretär Hubertus Heil berichtet der Presse von einem schier unglaublichen Pensum, das das sozialdemokratische Spitzengremium in seiner zweistündigen Sitzung bewältigt hat: Nordrhein-Westfalen, EU-Ratspräsidentschaft, Entwicklungshilfe („Die SPD wird in diesem Jahr das Thema Afrika groß machen“), Kampf gegen Aids, CSU – all das, was in diesen Tagen so passiert, wurde ausführlich besprochen. Und Steinmeier?

Ach so, ja, Steinmeier. Die SPD hege keinen Zweifel an der Integrität des Außenministers, betont Heil auf Nachfrage der Journalisten. Der Parteivorsitzende Kurt Beck habe in seinem politischen Bericht an das Präsidium die sozialdemokratische Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass sich Frank-Walter Steinmeier im Fall Murat Kurnaz „rechtsstaatlich korrekt“ verhalten habe. Die SPD-Führung spricht dem Außenminister ihr volles Vertrauen aus. Nachfragen? Kritische Bemerkungen gar? Gibt es an diesem Vormittag im SPD-Präsidium nicht.

Dieses Verhalten in Sachen Murat Kurnaz ist typisch für die Sozialdemokraten. Seit über zwei Jahren, seit die dunklen Seiten des rot-grünen Neins zum Irakkrieg beleuchtet werden, verfährt die SPD nach dem gleichen Muster: Bloß nicht zu viele Fragen stellen, nur das einräumen, was ohnehin schon bekannt ist, ja keine Fehler zugeben. Ob bei der CIA-Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled El Masri, der BKA-Vernehmung des Deutschen Mohammed Zammar in einem syrischen Foltergefängnis, den CIA-Geheimflügen über Deutschland oder eben der hintertriebenen Freilassung des in Bremen aufgewachsenen Türken Murat Kurnaz durch die Bundesregierung – bei all diesen Komplexen standen und stehen die Sozialdemokraten in der Reihe der Aufklärer ganz hinten; wenn sie denn überhaupt noch in dieser Reihe stehen.

Generalsekretär Hubertus Heil jedenfalls behauptet das an diesem Montagvormittag. Bezogen auf den Fall Murat Kurnaz, der den sozialdemokratischen Außenminister derzeit in Erklärungsnot bringt, betont Heil: „Wir wollen, dass die Dinge zügig aufgeklärt werden – an der Sache orientiert, in den dafür zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages, anhand der Unterlagen.“ Natürlich bestreitet Heil, dass Steinmeier in den zurückliegenden Monaten viele Gelegenheiten zur Aufklärung hat verstreichen lassen, ganz im Gegenteil. Die Bundesregierung habe mit ihrem Bericht an das Parlamentarische Kontrollgremium im Februar 2006 alle nötigen Antworten gegeben.

Die jüngsten Vorwürfe im Fall Kurnaz seien nur „neu zusammengerührt“ worden beziehungsweise eine „Zusammenstellung von Annahmen“. Aufgewertet werde das durch „wilde Spekulationen“, die parteitaktisch motiviert seien. „Eindeutige Belege“ für ein Fehlverhalten der rot-grünen Regierung und des damaligen Kanzleramtsministers Steinmeier gebe es mitnichten. Und dann erinnert der Generalsekretär umstandslos an den „Fall Bad Kleinen“ aus dem Jahre 1993. (Der RAF-Terrorist Wolfgang Grams hatte sich damals bei einer versuchten Festnahme durch die Spezialeinheit GSG 9 selbst erschossen. Lange Zeit stand jedoch der Vorwurf im Raum, Grams sei durch die Polizei hingerichtet worden.) Damals sei auch „viel spekuliert“ worden, meint Heil, am Ende hätten sich die Vorwürfe aber als haltlos erwiesen.

Die SPD vertraut ihrem Außenminister. Die Partei kenne Steinmeier „sehr, sehr gut“, sagt der Generalsekretär. Er habe selbst in schwieriger Zeit immer wieder die Rechtsstaatlichkeit allen Vorgehens verteidigt. Aber die SPD hat auch Angst. Schröders Nein zum Irakkrieg macht einen wichtigen Teil ihrer Identität aus, ganz im Gegensatz zu Schröders Agenda 2010. Sollte sich herausstellen, dass dieser offene Widerstand gegenüber Bush mit einer heimlichen Komplizenschaft mit den Amerikanern bezahlt worden ist, würde das die Partei schwer erschüttern. JENS KÖNIG