Keiner ist für Schrottbahnhof verantwortlich

Deutsche Bahn lässt Absturz eines Stahlträgers von Gutachter prüfen. Manager rechnet mit „Millionenschaden“ am Hauptbahnhof. Alle gefährdeten Träger gesichert. Beteiligte sind sich in einem Punkt einig: Schuld sind die anderen

Es war der Tag des fieberhaften Reparierens: Auf dem Hauptbahnhof kletterten gestern den ganzen Tag über Arbeiter mit Schweißgeräten herum, um die obersten Stahlbalken zu sichern. Und die Verantwortlichen der Bahn versuchten, das völlig ramponierte Image des Unternehmens notdürftig zu flicken. Einen „Schaden in Millionenhöhe“ fürchtet Wolf-Dieter Siebert, der Chef der Bahntochter DB Station & Service, zu dem ein „großer Imageschaden“ komme.

Ein unabhängiger Gutachter des Landgerichts, den Bahn und die zuständige Stahlbaufirma Donges beauftragt haben, soll jetzt klären, warum der prestigeträchtige Luxusbahnhof gleich beim ersten Sturm bröckelte. Wann er ein Ergebnis vorlege, sei noch unklar, so eine Bahnsprecherin. Ein Beweissicherungsverfahren soll erhellen, wie der 1 Milliarde Euro teure Bahnhof in den letzten Tagen vollends vom Lieblings- zum Sorgenkind des Unternehmens werden konnte. „In dem Verfahren werden Architekt, Baufirmen, Ingenieurbüros und Statiker viele Fragen beantworten müssen“, kündigt Bahnmanager Siebert an. Er spricht sein Unternehmen schon mal von aller Schuld frei: „Wir als Bauherr mussten davon ausgehen, dass wir einen ordentlich genehmigten Topbahnhof übernehmen, der nach allen Regeln der Technik geplant und gebaut wurde.“

Machte die Luxusstation Bahnchef Hartmut Mehdorn nach der Kappung des Dachs, dem Einbau der Flachdecke im Untergeschoss und der heillos überzogenen Kostenplanung schon reichlich Ärger, kam am Donnerstag der GAU dazu: Der Sturm „Kyrill“ hob einen gut 1,3 Tonnen schweren, 8 Meter langen und 60 Zentimeter im Querschnitt messenden Stahlträger aus seiner Verankerung, er beschädigte zwei weitere Träger und donnerte auf eine Treppe – glücklicherweise wurde niemand verletzt. Am Sonntag machte die Bahn den Bahnhof vorsichtshalber noch mal für fünf Stunden dicht, weil der Wind wieder auffrischte.

Es soll die letzte Sperrung gewesen sein: Die besonders gefährdeten, da windanfälligen obersten Stahlträger wurden bis gestern Abend mit einer zusätzlichen Halterung gesichert, sagte Andreas Schriewer, Justiziar der Stahlbaufirma Donges. Damit sei für die Bahn eine weitere Schließung vom Tisch, so die Sprecherin. Zumal in den nächsten Tagen nach Aussagen von Meteorologen kein Sturm mehr in Berlin vorbeikommt.

Die über 100 Querbalken haben keine tragende Funktion, sondern dienen nur der Zierde. Sie lagen nach der ursprünglichen Planung wie Bretter in einem Bücherregal auf, wurden durch ihr Gewicht am Platz gehalten und hatten nach oben hin Spiel. Fachleute verwenden dafür den Begriff „schwimmende Lagerung“. Die Arbeiter schweißen jetzt einen zusätzlichen Steg an die Stützen, sodass die Balken von allen Seiten gesichert sind. „Mit einer solchen Halterung wäre der Schaden nicht eingetreten“, sagt Schriewer. Bis zum kommenden Montag soll auch der letzte Stahlträger in einer neuen Halterung stecken.

Alle Behörden sind sich unterdessen in einem Punkt einig: dass sie nicht zuständig sind. Das Eisenbahnbundesamt in Bonn überwacht die Sicherheit von Bahnanlagen. Für die Bügelbauten am Hauptbahnhof – an denen sind die Zierbalken angebracht – sei allerdings die kommunale Bauaufsicht zuständig, sagt Sprecher Jorck Schäling. Der Grund: Die Bügelbauten enthalten Büros; sie erfüllen keine bahnspezifischen Aufgaben.

Die Berliner Bauverwaltung hat die Baugenehmigung für den Bahnhof im Jahr 2003 erteilt. Allerdings seien Details wie die Einhängung von Stahlträgern nicht Teil der Prüfung, sagt Sprecherin Manuela Damianakis. Seit 1999 begleite ein vereidigter Prüfingenieur den Bahnhofsbau, er müsse solche Konstruktionsdetails genehmigen. Die Prüfberichte habe nicht die Senatsverwaltung erhalten, sondern die Deutsche Bahn als Bauherr, so Damianakis. „Es kann sich um Pfusch am Bau, Materialermüdung oder einen Konstruktionsfehler handeln. Wir sind hochgradig an Aufklärung interessiert.“ ULRICH SCHULTE