piwik no script img

Mit „Rütli-Wear“ gegen den Schulfrust

Seit drei Monaten ist Alexander Dzembritzki Rektor der berüchtigten Berliner Rütli-Schule, deren Lehrer ihr Scheitern öffentlich bekannt gemacht hatten. Letztendlich habe der Hype einen positiven Einfluss auf die Schüler gehabt, meint der neue Rektor

AUS BERLIN CIGDEM AKYOL

„Wir haben wieder einen ganz normalen Schulalltag“, berichtet Alexander Dzembritzki, Rektor der Berliner Rütli-Schule. „Heute fliegen keine Gegenstände mehr durchs Klassenzimmer“, versichert er. Seit drei Monaten kämpft der neue Rektor gegen das Negativimage seiner Schule.

Drei Sozialarbeiter und Psychologen wurden ihm zur Seite gestellt. Sie begleiten die Lehrer in den Unterricht und betreuen auch die Schüler. Allerdings laufen die Verträge von zwei Sozialarbeitern bereits im Sommer aus, ihre Zukunft ist ungewiss.

Mit einem Tanz- und Theaterprojekt konnten auch die rivalisierenden Banden befriedet werden. Gemeinsam gestalten die Schüler T-Shirts. Das Geld, das sie mit „Rütli-Wear“ einnehmen, soll komplett in einen Schulfonds fließen – für Ausflüge und Anschaffungen. „Die Projekte werden sehr gut angenommen“, erzählt Dzembritzki. Der Unterricht verlaufe mittlerweile reibungslos.

Kaum vorstellbar, wenn man bedenkt, dass vor einem Jahr noch andere Bilder kursierten. Brüllende, nicht mehr zu bändigende Schüler und verzweifelte Lehrer schockierten die Republik. Polizisten wurden angeheuert, Reporterteams begafften die Szenerie, die weiter eskalierte: Mitten in Berlin-Neukölln, vor hunderten Kameras warfen Schüler Steine nach Passanten und Journalisten. Die zur „Terrorschule“ gekürte Anstalt wurde bundesweit zum Symbol gescheiterter Integration erklärt. Weil es die Gewalt an ihrer Schule nicht mehr in den Griff bekam, hatte das Kollegium im März 2006 einen Hilferuf an den Berliner Senat geschickt. Drei Seiten, verabschiedet von der Gesamtlehrerkonferenz ohne Gegenstimme, verfasst von der kommissarischen Schulleiterin. Ein Hilferuf, um mehr Unterstützung bei ihrer Arbeit und der Betreuung der Jugendlichen zu erhalten. „Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können“, beschrieben die überforderten Pädagogen die Situation. „Türen werden eingetre- ten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen.“

Mittlerweile sind die Neugierigen weg, die Kamerateams haben sich verzogen, es ist ruhig geworden. Der 39-jährige Dzembritzki, Sohn des SPD-Bundestagsabgeordneten Detlef Dzembritzki, unterrichtete bis zu seinem Amtsantritt die Fächer Informatik, Mathematik und Sport in Lübeck. Im Oktober dann kehrte er in seine Heimatstadt Berlin zurück, um die berühmteste Hauptschule des Landes zu leiten – eine Bildungsstätte, die vollkommen aus dem Lot geraten war. Der Interimsdirektor, Helmut Hochschild, hatte am Ende seiner Amtszeit ein ernüchterndes Fazit gezogen: „Eine Berliner Hauptschule kann nicht gesund werden. Denn das System ist krank.“

Trotzdem habe er keine Angst gehabt vor der großen Verantwortung, sagt Dzembritzki. „Ich bin ein offener Mensch.“ Der Ausbruch des letzten Jahres habe nicht nur Schlechtes bewirkt: „Auf die Schüler hatte der ganze Hype letztendlich einen positiven Einfluss“, sagt er. Die Schüler seien enger zusammengerückt, so der Rektor.

Der Mann strahlt Ruhe und Zuversicht aus. „Motivation ist das Zauberwort“, sagt Dzembritzki. Doch weiß er auch, dass dies nicht immer so leicht ist. „Denn viele unsere Schüler wachsen in zwei Welten auf.“ Sie seien die Einzigen in der Familie, die morgens aufstehen und einen geregelten Tagesablauf hätten. Trotz der schwierigen Umstände bereut Dzembritzki seinen Wechsel nicht. „Ich würde diesen Schritt immer wieder wagen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen