Gläubige der Erfolgsreligion

„Enron“: Alex Gibneys sehenswerter Dokumentarfilm über Wirtschaftskriminalität

Bitte nicht vom Thema abschrecken lassen! „Enron: The Smartest Guys in the Room“ handelt vom Bankrott eines amerikanischen Energiekonzerns. Das klingt erst mal nach drögen Zahlenkolonnen und Betriebswirtschaftsjargon. Doch Alex Gibneys Dokumentarfilm macht aus dem Thema einen dichten Wirtschaftskrimi. Dabei hatte er mit großen Problemen zu kämpfen. Seine beiden Protagonisten, Enron-Gründer Kenneth Lay („Kenny Boy“ für Präsident Bush) und Firmenpräsident Jeffrey Skilling, lehnten Interviewanfragen ab, viele Mitarbeiter des Konzerns gingen mit Hinweis auf laufende Gerichtsverfahren nicht vor die Kamera. Außerdem beklagt der Filmemacher im Presseheft, dass durch die kommerziellen Erfolge politischer Dokumentationen im Gefolge Michael Moores Nachrichtensender in den USA ihr Bildmaterial nicht mehr als historische Quelle betrachten, sondern als kommerzielle Ressource – selbst kurze Ausschnitte werden nur noch mit Sondergenehmigung und für hohe Preise herausgegeben. Der bisweilen beabsichtigte Nebeneffekt: Politisch unliebsamen Produktionen können so behindert werden.

Was Gibney zusammengetragen hat, ist daher umso bemerkenswerter, besonders entlarvend ist das Bild- und Tonmaterial aus der Firma selber, deren Quelle ungenannt bleibt. „Enron: The Smartest Guys in the Room“ hat einen Vorteil gegenüber dem gleichnamigen Sachbuchbestseller der Fortune-Reporter Bethany McLean und Peter Elkind, der Gibney als Vorlage diente: Der Regisseur kann anhand der von ihm zusammengetragenen Firmenvideos und Fernsehausschnitte zeigen, dass der kometenhafte Aufstieg der Firma in den Neunzigerjahren auch dem schauspielerischen und inszenatorischen Talent seiner Führungsgarde zu verdanken war. „Sie waren so geschickt darin, die Erfolgsgeschichte von Enron überzeugend erscheinen zu lassen, dass jeder daran glauben wollte. Skilling war ein Experte darin, öffentliche Zweifel zu beseitigen“, notiert Gibney.

Die Science-Fiction-Geschichte, die Skilling verkaufte, hieß grenzenloses Wachstum. Aus dem texanischen Gaslieferanten sollte ein weltweit führendes Unternehmen der Energiewirtschaft werden. Skilling erfand sich dafür neu. Aus dem nerdigen Berater wurde ein Macho-Geschäftsmann, der zur Motivation seine Topleute in Stripbars und auf Abenteuertrips durch Mexiko mitnahm. Aus Richard Dawkins Buch „Das egoistische Gen“ leitete er seine radikaldarwinistische Geschäftsideologie ab. In regelmäßigen Säuberungswellen ließ er 15 Prozent der nach Einschätzung ihrer Kollegen uneffektivsten Mitarbeiter des Konzerns entlassen.

Als die Umsatzzahlen hinter die Erwartungen zurückfielen, entwickelte man bei Enron „kreative“ Methoden, die Erfolgsfassade aufrechtzuerhalten. Zunächst durch die so genannte „mark to market“-Buchführung, bei der nicht mit realen, sondern erwarteten Gewinnen gerechnet wurde. Später versteckte man mit Hilfe des skrupellosen Leiters der Finanzabteilung Andy Fastow Verluste in einem undurchsichtigen Netz von Tochterfirmen, bis dann kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch des mittlerweile siebtgrößten Unternehmens der USA die kalifornische Stromkrise noch mal für echte Gewinne sorgte. Durch die Abschaltung von Kraftwerken wurden die Strompreise so in die Höhe getrieben, dass in kürzester Zeit Milliardengewinne realisiert werden konnten.

Die Energiekrise in Kalifornien wurde – auch durch die Passivität der Regierung Bush – zu einem wesentlichen Faktor für die Ablösung des demokratischen Gouverneurs Gray Davis durch Arnold Schwarzenegger. Eine direkte Verbindung zwischen dem Enron-Skandal und der Familie Bush, die hohe Wahlkampfhilfen vom Konzern bezog, konnten die Filmemacher jedoch nicht finden. Es spricht für ihre Seriosität, dass sie keine weit reichenden Verschwörungstheorien verbreiten. Die brauchen sie auch nicht, um zu erklären, warum sich von der Börsenaufsicht über Wirtschaftsjournalisten bis hin zum Vorsitzenden der US-Notenbank Alan Greenspan alle täuschen ließen. Kontrollmechanismen griffen nicht, weil die Wirtschaftswelt unbedingt an den Erfolg des Enron-Modells glauben wollte. Nicht nur weil alle an der Spekulationsblase der Neunziger gut verdienten, sondern auch weil kaum eine andere Firma so aggressiv für die Ideologie eines regellosen Kapitalismus stand. SVEN VON REDEN

„Enron: The Smartest Guys in the Room“. Regie: Alex Gibney, Dokumentarfilm, USA 2005, 109 Min.