Lichtenrader Schulblues

Eine brutale Prügelei an einem Gymnasium in dem beschaulichen Stadtteil sorgt für Entsetzen. Über die Täter wird nur gemunkelt. Jetzt kämpfen die Rektoren der drei dortigen Oberschulen um ihren Ruf

Von Alke Wierth

Die Sonne, die den Schnee hinter den Gartenzäunen der Einfamilienhäuser in Lichtenrade zum Leuchten bringt, strahlt durch die kleine Empfangshalle der Theodor-Haubach-Oberschule. Die THO hat an diesem Wintersamstag zum Tag der offenen Tür eingeladen. Eine Bühne, Musikinstrumente, ein Tisch mit selbst gebackenen Kuchen sind aufgebaut, Lehrer und Schüler warten auf Gäste. Es gilt, Eltern und potenzielle Schüler von der Qualität der Schule zu überzeugen: In Kürze beginnt die Anmeldezeit für die Oberschulen. Und nicht nur die allerorten sinkenden Schülerzahlen lassen den Konkurrenzkampf unter den Schulen härter werden.

Gerade mal eine Handvoll schulfremder Besucher lauscht der kurzen Eröffnungsrede von Schulleiter Martin Witt von Kraus. Fast beschwörend und ein bisschen wie aus einem Tourismuskatalog klingt seine Begrüßung: „Ich heiße Sie herzlich willkommen an unserer gemütlichen und freundlichen Schule im Grünen.“

Martin Witt von Kraus kämpft um seine Schule, seit langem, er kämpft gegen schwer fassbare Gegner – und seit dem vergangenen Wochenende ist der Kampf noch schwerer geworden. Da hatten Jugendliche beim Schulfest des nur wenige hundert Meter von der Theodor-Haubrich-Oberschule entfernten Georg-Büchner-Gymnasiums einen als Gast anwesenden Polizisten brutal verprügelt und schwer verletzt. Der Verdacht, die Täter seien Schüler benachbarter Schulen gewesen, stand sofort im Raum und kurz darauf in vielen Zeitungen – genährt vor allem von Äußerungen des stellvertretenden Leiters des Büchner-Gymnasiums. Dass der sich später korrigierte, half nicht mehr viel.

Wut auf die Medien

In seinem Büro zieht Schulleiter Witt von Kraus aus einem Stapel von Zeitungsartikeln über die brutale Tat an der Büchner-Schule einen hervor. Auf ein Bild prügelnder Jugendlicher ist dort das Namensschild seiner Schule montiert. Die Schlagzeile des Berichts lautet: „Seit Wochen randalieren Schüler aus Nachbarschulen hier.“ Witt von Kraus kann seine Wut darüber nicht verbergen.

Es sind drei Oberschulen, die am Lichtenrader Damm im äußersten Süden Berlins eng beieinanderliegen: ganz südlich das Georg-Büchner-Gymnasium in einem wenig schönen 70er-Jahre-Bau am Rande einer Hochhaussiedlung; im Norden die Theodor-Haubach-Oberschule, die in ihrem flachen, weitverzweigten Gebäude Haupt- und Realschule vereint, dazwischen die Carl-Zeiß-Oberschule, eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, die erst vor kurzem aus provisorischen Unterkünften in ihren imposanten, leuchtend roten Neubau umgezogen ist.

Die SchülerInnen der drei Oberschulen treffen sich nicht nur notgedrungen an den Bushaltestellen. Man kennt sich hier in Lichtenrade, hat die gleichen Grundschulen besucht, ist befreundet oder verwandt. Ärger zwischen Schülern verschiedener Schultypen? „Kommt vor“, sagen schulterzuckend zwei Schüler der Theodor-Haubach-Oberschule. Hätten sie nie erlebt, widersprechen zwei Oberstufenschüler des Büchner-Gymnasiums. Über den Vorfall beim Schulfest am vorletzten Wochenende will keiner reden – über die möglichen Täter schon gar nicht.

Ein guter Nährboden für Gerüchte: Anlass für die brutale Prügelei sei eigentlich ein Streit zwischen zwei Schülern des Büchner-Gymnasiums gewesen, lautet eines. Die, ein türkisch- und ein polnischstämmiger Schüler, hätten wegen eines Mädchens Krach gehabt. Ein schulfremder Freund des türkischstämmigen Schülers habe deswegen per Handy Verstärkung herbestellt. Das sei die Gruppe gewesen, die sich dann gewaltsam Einlass auf die Schulparty verschaffen wollte. „Die waren nicht von hier, und der Büchner-Schüler kannte die selber nicht“, erzählt ein Junge. Er habe alles beobachtet – namentlich zitiert werden will er nicht.

Auch die Schulleiter der drei Oberschulen haben mittlerweile Stillschweigen verabredet. Die Wunden, die der verbale Schlagabtausch hinterlassen hat, bluten noch. Konkurrenz unter den Schulen? Es gebe gute Zusammenarbeit, so die aktuelle Stellungnahme aller drei Schulen. Probleme zwischen Schülern verschiedener ethnischer Herkunft? Die Antworten auf diese Frage variieren – von „Gibt’s hier nicht“ bis „Nicht mehr als anderswo“.

„Die Kräfteverhältnisse hier sind noch unklar“, meint ein Lehrer, der an einer der drei Oberschulen unterrichtet – erkennbar zitiert werden will er nicht. Anders als an Schulen mancher Innenstadtbezirke, wo die Schüler nicht nur überwiegend aus bestimmten Zuwanderergruppen, sondern auch aus der gleichen sozialen Schicht stammen, ist die Lichtenrader Schülerschaft erheblich multikultureller – im ethnischen ebenso wie im sozialen Sinn. Zu den drei Oberschulen kommen Kinder aus den gepflegten Einfamilienhäusern ebenso wie aus den Sozialbaukolossen am Rande des Bezirks. Nicht wenige stammen auch aus angrenzenden Bezirken – gerade weil die Eltern im ruhigen Lichtenrade konfliktfreiere Schulen als im Zentrum vermuten.

Harter Wettbewerb

Ein Umstand, der angesichts hier wie überall sinkender Schülerzahlen für die Lichtenrader Schulleiter durchaus von Bedeutung ist. „Wir konkurrieren nicht mit dem Gymnasium um Schüler“, sagt Schulleiter Witt von Krauss. Doch einer neu erbauten und entsprechend gut ausgestatteten Gesamtschule können viele Eltern, deren Kinder Haupt- oder Realschulempfehlungen haben, nur schwer wiederstehen.

Während die Carl-Zeiss-Oberschule mehr Bewerbungen als Plätze hat, geht an der Theodor-Haubach-Oberschule die Zahl der Anmeldungen zurück. Dabei werde an keinem Schultyp derzeit so innovativ gearbeitet wie an den Hauptschulen, sagt Witt von Krauss. Doch für viele Eltern sind andere Fragen wichtiger.

Die Schule gefalle ihm zwar ganz gut, sagt ein Vater beim Tag der offenen Tür. Dennoch würde er aber eher zu der benachbarten Carl-Zeiss-Schule neigen. Gefallen haben ihm dort vor allem die vielen Überwachungskameras: „Dann sieht man wenigstens, wer den Mist baut!“