Arroganz der Macht

Um das Recht auf Abtreibung wird seit Ewigkeiten gestritten. Der jüngst erschienene Sammelband „Deproduktion“ von Sarah Diehl sondiert die aktuelle Lage – weltweit

Laut WHO stirbt alle sieben Minuten eine Frau infolge einer illegalen Abtreibung

Kinder sind Frauensache. Jedenfalls, sobald sie auf der Welt sind. Selbst Familienministerin Ursula von der Leyen beklagt, dass „wir Kindererziehung viel zu lange als Frauenthema gesehen“ haben. Davor sieht es etwas anders aus. Das zeigt sich schon daran, dass eine unerwünschte Schwangerschaft offiziell häufig für unmöglich erklärt wird und damit auch der legitime Wunsch nach ihrer Beendigung.

Zum Beispiel in Polen, etwa am Vormittag, in einem Krankenhaus. Am Nachmittag dann, in der Privatpraxis des Arztes, der am Morgen im Krankenhaus noch den Abbruch verweigerte, ist es für eine erkleckliche Summe Schwarzgeld plötzlich durchaus möglich und statthaft, die Schwangerschaft zu beenden. Aus welchem Grund auch immer.

Von solchen deprimierenden Erfahrungen berichtet Sarah Diehls Sammelband „Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext“. Die 28-jährige Diplommuseologin hat vor drei Jahren beim Verbrecher-Verlag die Anthologie „Brüste kriegen“ veröffentlicht. Kein Jammer- und Betroffenheitsbuch, sondern ein Buch, das der Neugierde geschuldet ist –wie war das eigentlich? – und einem Selbstbewusstsein, dem die eigene weibliche Sicht auf die Welt ganz selbstverständlich wichtig ist. Es braucht nämlich keinen neuen Feminismus. Alles, was es braucht, ist die entschiedene Aufmerksamkeit der Frauen für ihre eigenen Belange. So wie es Sarah Diehl praktiziert, indem sie jetzt sondiert, wie der Schwangerschaftsabbruch international juristisch, medizinisch, moralisch und politisch geregelt und bewertet wird, etwa in Eritrea, Kamerun oder Nigeria. Unter dem Gesichtspunkt des Schwangerschaftsabbruchs gibt es keine exotischen Länder.

Exotisch ist peinlicherweise der Abbruch selbst – als Thema von Film und Literatur. Seine Abwesenheit, aber auch seine zwar seltene, doch gelungene Darstellung in den Medien behandelt ein eigenes Kapitel, ein anderes die persönliche Erfahrung einer Abtreibung und ein weiteres erzählt die Geschichte weiblicher Selbstbestimmung. Dazu gehört auch das besondere weibliche Wissen um abtreibende Pflanzen. Die Abtreibungspraxis der Sklavinnen auf Surinam, von denen die berühmte Naturforscherin Maria Sibylla Merian 1705 über die Kräuter informiert wurde, interpretierte Merian als politischen Akt des Widerstands gegen die Sklaverei in den Kolonien – noch 300 Jahre später eine politisch avancierte Analyse.

Auch wenn Polen in seiner gegenwärtigen Verfassung, juristisch wie politisch, kein Land ist, das große Sympathien weckt – in der Bundesrepublik geht es nicht weniger niederträchtig zu. „Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden“, argumentieren hier die Verfassungsrechtler und Verfassungsrechtlerinnen und sprechen von der „grundsätzlichen Pflicht zum Austragen des Kindes“. Zwar ermöglichen dann Ausnahmetatbestände den sanktionslosen Abbruch. Doch schon da, bevor noch die Medizin am Drücker ist und mit der Pränataldiagnostik der technische Fortschritt gewinnbringend ins Spiel kommt, werden Selbststimmungsrecht und Menschenwürde der Frau verletzt.

Denn gilt das Ungeborene als missgebildet, wird sein Lebensrecht regelmäßig in Frage gestellt und die Schwangere mit dem Argument ihrer angeblichen – juristisch freilich klar verneinten – Selbstbestimmung unter Druck gesetzt. Es geht nun um Eugenik, die freilich so nicht heißen darf, wie Andrea Trumann argumentiert, weil sie der Staat privatisiert und der Mutter zugeschoben hat.

Um den missgebildeten Fötus geht es nie und bei der Schwangeren nur darum, ihr zu bedeuten, dass ihr Wille nicht zählt, wie „Anas Geschichte“ zeigt. Die Pränataldiagnostik der privat bestens krankenversicherten Mittelstandsfrau in Argentinien besagte, dass nach einer normal verlaufenden Schwangerschaft ihr Kind aufgrund einer Lungendysfunktion bei der Geburt ersticken wird. Als Ana sich selbst diese Schwangerschaft und dem Kind diesen Tod ersparen will, wird ihr der – laut Gesetz mögliche – Abbruch verweigert. Stattdessen wird sie an Selbsthilfegruppen betroffener Frauen verwiesen und schließlich in die Psychiatrie geschickt.

Vom „Recht eines jeden Menschen auf reproduktive Gesundheit“, das die UN-Mitgliedstaaten auf der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994 ratifizierten, kann nirgendwo ernsthaft die Rede sein. Dem Recht Geltung zu verschaffen, hieße, patriarchale Machtbefugnisse in Frage zu stellen. Da nimmt man lieber in Kauf, dass laut WHO alle sieben Minuten eine Frau infolge einer inkorrekt ausgeführten, illegalen Abtreibung stirbt. Oder infolge eines illegalen, allerdings medizinisch sauberen Abbruchs, wie er in China, Indien oder Korea akzeptiert ist, bei Missbildung des Fötus, erkennbar am weiblichen Genital. Diese politisch eklatante weitere Konfrontation der Frau mit der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs wird in Sarah Diehls verdienstvoller Recherche nur gestreift. Ihre Lesung heute Abend im Festsaal Kreuzberg bietet vielleicht die Chance, darüber noch Genaueres zu erfahren.

BRIGITTE WERNEBURG

Sarah Diehl (Hg.): „Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext“. 256 Seiten, Alibri Verlag, Aschaffenburg 2007, 256 S., 17 €ĽLesung heute, 30. Januar, 20.30 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130