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: Auf Schnittstellensuche beim Salon Sophie Charlotte

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften lud zum „Salon Sophie Charlotte“ ein. In ihrem Haus am Gendarmenmarkt, in dem einst die Preußische Staatsbank residierte, sollte nach „Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa“ gesucht werden. Mit dem Slogan „Erleben Sie einen Wissenschaftssalon, wie Königin Sophie Charlotte sich ihn erträumte, als sie die Berliner Akademie ins Leben rief“, lockt die Institution.

Vor etwa 300 Jahren muss die Königin geträumt haben. Zwar bezieht sich die Akademie sonst auf den Philosophen Leibniz als Gründungsvater, aber immerhin hat man nun Königin Sophie Charlotte aufs Plakat gehoben. Ihr sagt man nach, dass sie Grenzen – zumindest im Denken – zu übertreten wusste. In diesem Sinne ist auch die Idee des Salons zu verstehen: Die Schnittstellen zwischen Europa und dem Nahen Osten werden gesucht – und nicht das, was trennt.

Die Schnittstelle, das wird bei dem sechstündigen Programm mit Lesungen, Diskussionen, Koran-Rezitationen, Filmen, Vorträgen, Führungen und Performances auf drei Etagen der Akademie schnell klar, ist das Gespräch an den Bistrotischen, die überall aufgestellt sind.

Während im Leibniz-Saal mit seinen Rundbögen und Pfeilern, an denen die Einschusslöcher vom Krieg noch sichtbar sind, vor mehreren hundert Gästen aus den persischen Briefen von Montesquieu gelesen wird und im Einstein-Saal vier Stockwerke höher der Imam Ali Taha vor kaum weniger Leuten aus dem Koran singt, wird am Bistrotisch davor geflirtet.

Eine Dunkelhaarige mit Pferdeschwanz versucht, mit einem Mann, der fünf goldene Fingerringe trägt, aus dessen Anzugtasche drei silberne Kugelschreiber lugen und dessen goldene Krawattennadel das Schmuckbild abrundet, ins Gespräch zu kommen. Informationen wie „Ich will mir die Diskussion mit Avi Primor anhören“ und „Ich bin wegen der Lesung mit Emine Sevgi Özdamar gekommen“, Wörter wie „Migrationshintergrund“ und „Toleranz“ werden gewechselt.

Während sie immer näher an den Geschmückten rückt, legt er einen Schritt Distanz zwischen sich und sie. „Ich heiße Heidi“, sagt die Frau und bietet ihm auf diese Weise informelle Nähe an. Er heißt Jusuf. Und wer sind Sie?, fragt mich Heidi plötzlich. „Eine Chronistin.“ – „Um Gottes willen, wie wollen Sie das denn machen bei so viel Programm?“

Auf der Suche nach Schnittstellen treibt es mich durchs ganze Haus. Vorbei an Alten und Jungen. Vorbei an Eleganten, Lässigen, Gebeugten. Vorbei an solchen mit offenen Mänteln und solchen mit wachen Augen. Vorbei an Blonden, Grauhaarigen, Innerlichen und Extrovertierten. Vorbei an Fotos von orientalischer Architektur in Berlin, darunter auch das des reich verzierten Giraffenhauses im Zoo.

So durch die Flure treibend gerate ich in den Vortrag: „Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit“. In gedämpftem Licht sitzen fünf Zuhörer und ebenso viele Vortragende. Sie rezitieren aus über 1.000 Jahre alten Briefen. Aus ihnen geht hervor, dass Christen und Muslime schon damals miteinander kommunizieren mussten, egal wie sehr sie sich befehdeten. Die Texte sind in einer Sprache verfasst, die an arabische Ornamentik erinnert: lange, gedrehte Sätze, deren Schönheit in der Wiederholung liegt.

Schon während des ersten Briefs setzt das Schnarchen eines Zuhörers eine harte Zäsur. Die Prosopografen lassen sich davon nicht abschrecken. Dass man den Texten nicht folgen mag, stört sie nicht. „Bei einem Mathematikvortrag erwartet auch niemand, dass Laien sofort alles verstehen“, sagt ein Prosopograf.

Die weitere Schnittstellensuche führt an einer Performance im Paternoster des Hauses vorbei. Vier junge Schauspielerinnen tragen, während sie in den offenen Aufzugskabinen hoch- oder runterfahren, Lessings Ringparabel vor.

Da endlich wieder ein Bistrotisch. Hans Schiler, Verleger von Werken arabischstämmiger Autoren, und einige seiner Freunde stehen daran. Ein Vorbeikommender, der Ralf heißt, wird begrüßt. Er ist palästinensischer Herkunft und um die 60. „Ja, es gibt Araber, die Ralf heißen“, sagt er. Alle wollen die Geschichte seiner Namengebung hören. Ralf erzählt von Missionaren, die 1926 ins Dorf seines Vaters kamen und Werbung für den Priesterberuf machten. Seinem Vater wäre es recht gewesen, so sei er elegant von dort weggekommen. Er, Ralf, habe noch Briefe vom Vater, die mit „Abbé Michel“ unterschrieben sind. In dem Moment verschwindet Schiler samt Freunden. Die Lesung von Hussain Al-Mozany, einem seiner Autoren, hat begonnen. Ralf weigert sich, die Geschichte seines Namens nur für mich zu Ende zu erzählen.

Al-Mozany, im Irak geborener Journalist, der früher auf Arabisch schrieb, aber mittlerweile seine Texte auf Deutsch verfasst, liest im Leibniz-Saal aus dem neuen Roman, in dem er sich auf die Suche nach seiner Identität macht. Da läuft Heidi, jene Heidi von vorher, vorbei, erkennt mich und flüstert: „Hat Sie die Muse schon geküsst?“ Ich verneine. „Und Sie?“ Sie schüttelt den Kopf und setzt sich neben einen grauhaarigen Asketen, der seine Hand liebevoll auf ihren Arm legt. Waltraud Schwab