Tribunal im Bundestag

Weil die ARD in einer Dokumentation Lücken im deutschen Antidopingsystem erkannt hat, müssen sich Vertreter der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) heute vor Sportpolitikern aller Fraktionen rechtfertigen

BERLIN taz ■ Heute Nachmittag werden die vermeintlichen Übeltäter ins Gebet genommen. Die Exponenten der Nationalen Antidopingagentur (Nada) rücken in Berlin ein und sie werden sich allerlei Fragen gefallen lassen müssen. Es ist eine Anhörung im Sportausschuss des Bundestages, die vor allem eine Frage beantworten soll: Woher stammen die Lücken im Kontrollsystem der Nada, die es ermöglichten, dass angeblich 400 Athleten durchschlüpfen konnten.

Peter Danckert, der Vorsitzenden des Ausschusses, versichert vorsorglich, dass dies kein Tribunal sei, dem sich die Nada-Vertreter zu stellen hätten. In Wahrheit dürfte es auf nichts anderes hinauslaufen. Dass sich Nada-Geschäftsführer Roland Augustin und der neue Nada-Chef Armin Baumert, ehedem Leistungssportchef des Deutschen Sport-Bundes, dieser als dringlich etikettierten Befragung unterziehen müssen, ist vor allem einer TV-Dokumentation der ARD geschuldet, die sich der Lücken im Kontrollsystem annahm.

Die Tatsache wurde als eine Sensation verkauft. Dabei war der Umstand nicht neu: Zuvor schon hatte Augustin in einem Interview mit dieser Zeitung eingeräumt, dass die Schlupflöcher bestehen – exakt zwei Monate vor Ausstrahlung des ARD-Beitrages: „Wir weisen die Athleten bei einem sogenannten Missed Test darauf hin, dass sie eine Verpflichtung haben, sich zu melden. Wenn ein Athlet nicht anzutreffen ist, muss dieser Vorgang nachgearbeitet werden. Wir müssen auch die Aussagen des Kontrolleurs überprüfen. Dieses Procedere ist sehr, sehr aufwändig und nicht vergleichbar mit einer Radarfalle, wo es ein Foto und Messergebnis gibt“, sagte Roland Augustin.

Säumige Sportler

Damit räumte der Nada-Chef vor allem eines ein: Im Falle eines säumigen Athleten hat die Nada vorerst keine Handhabe. Sanktionen können ohnehin nicht von der Nada ausgesprochen werden, das ist und bleibt Sache der Verbände. Und schlimmer noch: Sie hat weder das Personal noch die nötigen Mittel, um den Athleten von Grund auf nachzuspüren. Der öffentliche Aufschrei blieb nach der Interview-Veröffentlichung, anders als einige Wochen später, indes aus. Angebliche 400 Missed Test soll es im letzten Jahr gegeben haben. Augustin monierte, dass er mit der Zahl von Seiten der ARD nie konfrontiert worden war. Andererseits ist das Krisenmanagement der Nada mehr als defizitär. Augustin ist partout nicht zu erreichen. Eine Presseerklärung der Nada zum aktuellen Fall hat es bis dato nicht gegeben. Auf der Homepage der Agentur wird das brisante Thema geflissentlich verschwiegen. Und auch Helmut Pabst, dessen Firma PWC die Trainingskontrollen verantwortet, steht nach einer Rücksprache mit Augustin nicht mehr für ein taz-Interview zur Verfügung.

Der Deutsche Olympische Sportbund hat im Gegensatz zur Nada prompt auf den ARD-Bericht reagiert und Pressemitteilungen im Tagesrhythmus versandt. Darin wurde der Nada regelmäßig der Schwarze Peter zugeschoben und um Aufklärung gebeten. Der dringliche Wunsch entstand auch, weil der Sportbund zusätzliche Mittel angewiesen hatte: 250.000 Euro.

Fakt ist: Die Nada ist nirgendwo gern gesehen: „Wir sind nur ein Feigenblatt“, hatte Peter Busse, der ehemalige Nada-Chef, im letzten Oktober erklärt – und im selben Atemzug seinen Rücktritt angekündigt, der auch der Resignation über die dürftige Finanzlage geschuldet war. 8,7 Millionen Euro beträgt das Stiftungskapital der Nada. Das Zehnfache wäre freilich nötig gewesen, um einen reibungslosen Kontrollbetrieb zu gewährleisten.

Geld muss her

Danckert und seine Mitstreiter im Sportausschuss wollen indes den finanziellen Spielraum der Nada erhöhen: Nicht 250.000 Euro würden gebraucht, sondern 25 Millionen.

Der SPD-Politiker will im Antidopingkampf auch die Sponsoren in die Pflicht nehmen. Allerdings hatte er vergessen, dass ursprünglich, als die Nada auf den Weg gebracht wurde, von einem Stiftungskapital von 60 bis 80 Millionen Euro die Rede war. Eine Hand voll Konzerne beteiligen sich mit 50.000 Euro. Es klingt verdächtig nach einer alten Binsenweisheit: Es ist zum Leben zu wenig, zum Sterben dann aber doch zu viel.

STEFAN OSTERHAUS