Duale Berufsbildung vor dem Kollaps

Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: 40 Prozent ausbildungswilliger Jugendlicher landen in Ersatzmaßahmen für Lehrstellen, die keinen Berufsabschluss bringen. Gutachter fordern, Ausbildung grundlegend zu überprüfen

BERLIN taz ■ Gestern noch war die Welt der Berufsbildung in Ordnung. Die Wirtschaft hat 67.000 Lehrstellen neu eingerichtet. 30.000 waren versprochen. Ein Grund, „die Champagnerkorken knallen zu lassen“, sagte der Manager der Deutschen Industrie- und Handelskammern, Martin Wansleben.

Morgen wird von Champagner niemand mehr reden. Dann stellt die Friedrich-Ebert-Stiftung eine neue Studie über den Ausbildungsmarkt vor – und sie macht ein Desaster kenntlich. Die Autoren, darunter die besten deutschen Kenner der Berufsbildung, Martin Baethge und Heike Solga aus Göttingen, umreißen nach Informationen der taz einen drastischen Reformbedarf – weil „ungefähr ein Fünftel eines Altersjahrgangs nach der Schule auf dem direkten Weg in ein Übergangssystem wechselt, das für zu viele Betroffene zur Warteschleife geworden ist“. Kürzer gesagt: 20 Prozent der 970.000 Schulabgänger landen in Deutschland direkt im Prekariat.

Die AutorInnen stellen ihre Studie mit dem Exstaatssekretär im Bildungsministerium Wolf-Michael Catenhusen (SPD) vom „Netzwerk Bildung“ der Ebert-Stiftung vor. Sie kritisieren, dass es nur noch 43 Prozent der Jugendlichen, die im Jahr 2004 für den Ausbildungsmarkt zur Verfügung standen, in eine reguläre Ausbildung geschafft haben. Weitere 40 Prozent gingen in das Übergangssystem, das sind schulische und überbetriebliche Ersatzmaßnahmen, neuerdings auch Praktika. Nur gebe es für immer mehr Jugendliche aus diesem Übergangssystem kaum ein Entkommen mehr. Es führe zu „keinem beruflichen Abschluss“ oder anerkannten Berufen, es entlasse die Schulabgänger in die Unsicherheit. Baethge und seine Koautoren befürchten Ausgrenzungstendenzen für Absolventen bestimmter Schulformen. Besonders Haupt- und Sonderschüler sind betroffen, aber auch 25 Prozent der Realschüler müssen inzwischen in das Übergangssystem ausweichen. Es drohten eine „Vertiefung der sozialen Spaltung in Deutschland“ sowie ein Mangel an Fachkräften in Deutschland.

Die Ergebnisse sind keine substanzlosen Alarmzahlen, sondern Ausdruck einer Realität, die den Berufsforschern längst bekannt ist. Die Schwäche des Berufsbildungssystems ist nicht konjunktureller Art, sondern ganz prinzipiell und lässt sich auch an den aktuellen Zahlen ablesen. Formell suchen in Deutschland im Januar 2007 noch 17.500 Jugendliche einen Ausbildungsplatz – rechnet man die sogenannten Altbewerber hinzu, sind es zehnmal so viele: 160.000. Nur noch ein Viertel der Betriebe bildet überhaupt aus und, besonders alarmierend: Im Westen des Landes ist die Zahl der regulären Lehrstellen im vermeintlichen Champagnerjahr um drei Prozent gesunken.

Die Gutachter der Friedrich-Ebert-Stiftung fordern eine grundlegende Überprüfung des Übergangssystems. Wolf-Michael Catenhusen sagte der taz, die vielen Ersatzmaßnahmen müssten zurückgefahren werden. Die dafür alljährlich investierten acht Milliarden Euro sollten stattdessen direkt in die Verbesserung der Hauptschulen fließen. CHRISTIAN FÜLLER