Brüssel will auch deutsche Kneipen lüften

Mitten in die Verhandlungen der Bundesländer um Rauchverbote platzt die EU: Der Gesundheitskommissar macht Druck. Falls die Mitgliedsstaaten Zigaretten nicht vom Kneipentisch verbannen, soll Brüssel es tun. Doch die Kompetenz der EU ist strittig

VON GEORG LÖWISCH

Die EU-Kommission verlangt europaweite Rauchverbote in Gaststätten und setzt damit die deutschen Gesetzgeber unter Druck. „Ich würde mich freuen, wenn überall in Europa ein umfassendes komplettes Verbot beschlossen würde“, sagte EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou in Brüssel. Er stellte gestern zunächst eine Studie vor, in der aufgelistet wird, welche Schäden das Rauchen anrichtet und was die Politik tun kann. Kyprianou betonte, dass die EU notfalls Rauchverbote erlassen könne.

Der Vorstoß könnte die Verhandlungen der deutschen Bundesländer beeinflussen, die zurzeit versuchen, einen bundeseinheitlichen Nichtraucherschutz zustande zu bringen. Rauchverbote in Gaststätten durch ein Bundesgesetz scheut Kanzlerin Angela Merkel, da Innen- und Justizministerium allein die Länder für zuständig halten. Kürzlich machten Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Tempo: Notfalls würden sie Gaststättenverbote im Alleingang erlassen. Auch Hamburg ist für Verbote in größeren Gaststätten. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben sogar angekündigt, den Qualm aus der Gastronomie ganz zu verbannen – egal ob Eckkneipe oder Sternerestaurant.

Andere Vorstellungen haben Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und das Saarland. Ihre Ministerpräsidenten hatten sich im Dezember gegen gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben sich noch nicht erklärt, weil sie sich innerhalb ihrer CDU/FDP-Koalitionen uneinig sind.

Die Pro-Tabak-Länder gehen nun mit der Aussicht in die Verhandlungen, einsame Raucherinseln zu werden – und irgendwann von der EU doch die Zigarette am Kneipentisch untersagt zu bekommen. Auf Nachfrage erklärten die Gesundheitsministerien von Rheinland-Pfalz und Saarland, sie setzten nach wie vor auf die Arbeitsgruppe der Länder. „Wir werden unsere Position einbringen“, sagte ein Sprecher des saarländischen Gesundheitsministers. In Thüringen dagegen ist Bewegung zu spüren. „Wir plädieren für so viel Eigenverantwortung wie möglich“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. „Wenn sich Verbote nicht umgehen lassen, wird Thüringen aber nicht aus der Reihe scheren.“

Was die EU betrifft, ist offen, ob sie überhaupt zuständig wäre. Gesundheitskommissar Kyprianou sagte gestern, europaweite Rauchverbote könnten auf Basis der Richtlinie über gesundheitsgefährdende Stoffe erlassen werden. Der Chef des Gesundheitsausschusses im Europaparlament, Karl-Heinz Florenz (CDU), hatte kürzlich in der taz Verbote über europäische Arbeitsschutzvorschriften angeregt.

Hingegen erschien 2006 in der Neuen Juristischen Wochenschrift ein Aufsatz der Berliner Wissenschaftler Matthias Rossi und Sophie-Charlotte Lenski, der in diesem Punkt zu einem anderen Ergebnis kommt. Für den Gesundheitsschutz seien die Mitgliedsstaaten zuständig, Brüssel dürfe nach dem EG-Vertrag nur ergänzen oder die Zusammenarbeit fördern. Auch eine andere Ermächtigungsgrundlage dürfe nicht in Anspruch genommen werden. So habe die EU „insgesamt keine Befugnis, das Rauchen in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten zu untersagen“.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband wandte sich vorsorglich gegen eine europäische Regelung. „Europa muss nicht alles regeln und erst recht nicht einheitlich“, sagte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges der taz. „Bei aller Würdigung des europäischen Gedankens.“ Die Bundesländer sollten sich rasch auf eine einheitliche Vorgehensweise einigen. Sie sei für eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für Kneipen und Restaurants.

EU-Kommissar Kyprianou will bis nächstes Jahr prüfen, ob Brüssel tätig wird. Allerdings stellte die Kommission fest, dass freiwillige Zusagen nichts gebracht hätten. 79.000 Erwachsene in der EU stürben jährlich durch Passivrauchen. Der Kommissar aus Zypern war selbst mal starker Raucher: „Wenn ich aufhören konnte, kann das jeder.“