„Es droht ein Veto aus Warschau“

Die rechte polnische Regierung will die EU-Verfassung nicht – obwohl die Polen mehrheitlich dafür sind und ihre Vorgänger die EU-Verfassung ratifiziert haben. Doch die Kaczyńskis misstrauen der EU zutiefst, so Paweł Swieboda

taz: Herr Swieboda, will Polens nationalkonservativ-populistische Regierung die EU-Verfassung überhaupt noch?

Paweł Swieboda: Die Kaczynski-Zwillinge verdanken ihren Wahlerfolg bei Rentnern und Landbevölkerung ihrer harschen Kritik an der EU-Verfassung und ihrer EU-Skepsis allgemein. Prominente Politiker, wie der heutige Innenminister Marek Jurek, waren sogar gegen den Beitritt Polens zur EU. Außerdem entstand der Verfassungstext, bevor die Kaczyński-Zwillinge an die Macht kamen. Insofern ist kaum zu erwarten, dass diese Regierung ihre Haltung zur EU-Verfassung grundlegend ändert.

Was missfällt der polnischen Regierung denn an der Verfassung?

Die Kaczyński-Brüder wollen keine vertiefte Integration der EU, sondern einen losen Verbund starker Nationalstaaten. Auf gar keinen Fall wollen sie den Stimmenvorteil verlieren, den der Nizza-Vertrag Polen zusicherte.

Polens Außenministerin Anna Fotyga meinte kürzlich, dass die EU-Verfassung völlig neu zu schreiben sei. Das bedeutet faktisch Blockade – oder?

Ja, wenn sie dabei bleibt, wäre dies ein Veto Polens. Denn wir müssen natürlich von dem Verfassungstext ausgehen, der bereits von 18 Staaten ratifiziert wurde. Ich fürchte, dass Polen dazu zurzeit nicht bereit ist.

Aber Polen hat sich doch auch durch seine Unterschrift zur Ratifizierung der Verfassung verpflichtet. Kann die neue Regierung dies einfach ignorieren?

Die Kaczyński-Brüder, Premier und Präsident Polens, glauben, dass dies möglich ist. In der Innenpolitik wird ja auch rigoros über die letzten 17 Jahre Demokratie in Polen gerichtet. Ihre Partei, die PiS, ist mit dem Schlagwort „Vierte Republik“ angetreten. Das Land soll zurück an den Start von 1989. Das hat nichts mit Realpolitik zu tun. Es ist eine Ideologie, die nun auch für die Außenpolitik Polens gilt: Alles Vorgefundene ist schlecht, also auch der von den Vorgängern geerbte Verfassungsentwurf. Der PiS-Regierung fehlt nicht nur jedes Gefühl für außenpolitische Kontinuität, sondern auch Respekt für die EU-Staaten, die ja in ihrer Mehrheit den Verfassungsvertrag bereits ratifiziert haben.

Und was will Präsident Kaczyński in der EU-Verfassungsfrage – außer Nein zu sagen?

Der Präsident will offensichtlich bei den Polen mit einem eigenen Verfassungsprojekt punkten. Bisher haben wir nur wenig darüber gehört, was „den Polen“ am bisherigen Verfassungstext angeblich nicht gefällt. Wir hören immer nur, dass der Text völlig neu geschrieben werden muss.

Wahrscheinlich würde dieser polnische Vorschlag von der Mehrheit der EU-Staaten abgelehnt. Was dann?

Dann hätte sich die PiS in eine Sackgasse manövriert. Sollten sich Frankreich und die Niederlande bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft im Juni mit Kompromissen einverstanden erklären, gäbe es in der EU nur noch drei Verfassungsgegner: Polen, Tschechien und Großbritannien. In Großbritannien wird es bald einen neuen Premier geben. In Tschechien gibt es bereits eine neue Regierung, die sich zwar schon negativ geäußert hat, der man aber noch etwas Zeit geben sollte. Sollte Polen tatsächlich darauf bestehen, den Verfassungstext von Neuem zu schreiben, käme dies einem Veto gleich.

Die Gas- und Öl-Konflikte mit Russland haben aber doch gezeigt, dass eine gemeinsame Energiepolitik allen EU-Staaten, auch Polen, zugutekäme. Dies setzt aber mehr EU und mehr Integration voraus. Sieht die polnische Regierung das anders?

Präsident Kaczyński will, dass sich die EU-Staaten im Konfliktfalle mit Russland gegenseitig unterstützen. Zugleich misstraut er den Partnern in der EU aber so sehr, dass er gemeinsame Entscheidungen über die künftige Energiepolitik aller EU-Staaten ablehnt. Dennoch ist die Energiepolitik ein Thema, über das man mit Kaczyński reden sollte. Denn die gemeinsame Energiepolitik der EU entsteht erst – Polens Regierung hätte also hier die Chance, etwas entscheidend mitzubestimmen. Psychologisch gesehen ist das nicht zu unterschätzen. Denn die PiS-Regierung hat Probleme, die bei Machtantritt vorgefundenen Strukturen, Verträge und Gesetze zu akzeptieren. Sie will alles neu machen – und gemeinsame EU-Energiepolitik wird neu sein. Das ist eine Chance.

Wie würden die Polen im Falle eines Verfassungsreferendums abstimmen?

Umfragen zufolge sind 63 Prozent der Polen für die EU-Verfassung – und 88 Prozent für die Mitgliedschaft in der EU. Deshalb würde ein Veto der polnischen Regierung zur EU-Verfassung die PiS innenpolitisch teuer zu stehen kommen. Außerdem engagiert sich jetzt auch die Opposition für die EU-Verfassung. Das ist ein gutes Zeichen.

INTERVIEW: GABRIELE LESSER