Bunker soll Investor trotzen

Ein Investor will einen ehemaliger Gasometer in Kreuzberg zu Luxus-Appartements umbauen. Das bringt viele Anlieger auf die Barrikaden: Sie befürchten steigende Mieten und fordern den Erhalt des „Fichtebunkers“ als Mahnmal

Mächtig und erhaben liegt der Bunker eingezwängt zwischen zwei Wohnhäusern der Fichtestraße. Der ehemalige Gasometer ist etwas zu groß geraten für das pittoreske Ensemble der Straße, er fällt aus der Rolle. Der über 130-jährige Koloss hat schon vielen Herren gedient: Als Gastank zuerst, dann betonverstärkt als Zufluchtsort für Zehntausende im Zweiten Weltkrieg. Später wurden Lebensmittel darin gelagert, als die Blockade Berlins 1948 Realität wurde. Die vorletzte Idee – Vertriebenenverbände wollten ein Geschichtszentrum errichten – verhinderten Anrainer und Politik. Jetzt ist ein privater Investor gekommen mit einer neuen Idee.

Die Menschen hier haben ein inniges Verhältnis zum ältesten erhaltenen Steingasometer der Stadt. Das erklärt auch den wütenden Protest, der sich derzeit im Graefekiez breitmacht. Bisheriger Höhepunkt: eine Bürgerversammlung Mittwochabend.

Es geht um ihren „Fichtebunker“, um ihren Sportplatz daneben und um unliebsame Nachbarn, um Angst vor Mieterhöhungen. Der Investor will 31 Wohnungen auf dem 8.000-Quadratmeter-Grundstück bauen, nur 12 davon unter der riesigen Kuppel des Bunkers. Die Wohnungen locken mit einzigartigem Industriedenkmalflair und einer faszinierenden Aussicht. Das 12,5-Millionen-Euro-Projekt umfasst eine Sanierung des Bunkers: Im Inneren lagert Asbest.

Die Doppelstock-Appartements richten sich an eine zahlungskräftige Klientel – Dachgarten und Tiefgarage inklusive. Rings um das Rundgebäude sind Reihenhäuser und Lofts geplant. Der Architekt wirbt mit 3,50 Meter hohen Räumen, Vollholzböden und Terrassen – all das als „harmonische Verbindung zwischen Bestand und Neuem“.

Von all dem Neuen, das Architekt Paul Ingenbleek vorträgt, wollen die Anwohner an diesem Mittwochabend nichts hören. Das Bezirksamt hat ins Nachbarschaftsheim Urbanstraße eingeladen, dort soll das Projekt der Bevölkerung vorgestellt und Zweifel ausgeräumt werden. Jetzt aber lässt die Wut über fehlendes Mitspracherecht, Angst vor Veränderung und Sorge um soziale Errungenschaften die Stimmung hochkochen.

Die Fichtestraße-Bewohnerin Monika Machlinsky spricht über ihre eigene Geschichte, wenn sie über den Turm erzählt: Sie verbrachte als Kind die Bombennächte hinter den schützenden Mauern. Sie kann sich an Kälte und Angst erinnern. Heute fordert sie: „Der Bunker sollte ein Mahnmal bleiben.“ Auch die Filmemacherin Ulrike Ottinger, die ein paar Türen weiter wohnt, verbindet Persönliches mit dem Bunker. 1981 inszenierte sie unter der Kuppel ein Gastmahl für das Werk „Freak Orlando“. Ottinger nennt das Gebäude „eines der schönsten Industriedenkmäler“, das sie kenne. Vom Umbau hält sie nichts, der Protest sei gerechtfertigt.

Kunsthistoriker Peter Rothenberg lebt seit 1978 im Graefekiez und schwingt sich zu einem der lautesten Kritiker des Plans auf. „Ich liebe diesen Bunker“, stellt er fest und erzählt, dass er ihn vor langer Zeit mit dem Künstler Joseph Beuys erklomm und seinem Sohn anhand des Gebäudes Geschichte näher brachte. Um den Sportplatz gleich nebenan sorgt sich ein anderer prominenter Bewohner der Fichtestraße: Walter Momper (SPD), Präsident des Abgeordnetenhauses, merkt an, dass der Ausbau „zulasten des Sports“ gehen könne. Die neuen Anwohner, die dann direkt in Hörweite des Fußballplatzes leben, könnten den Betrieb gerichtlich einschränken lassen.

Erste Zugeständnisse gebe es bereits jetzt, so der Jugendleiter des SC Berliner Amateure: Eine Frau, die in einem anderen Haus nahe dem Sportplatz wohnt, habe kürzere Trainingszeiten und das Verbot von Trillerpfeifen erwirkt.

Die rund hundert Anwohner wollen das Projekt stoppen – können es aber nicht. Das macht der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, zum Schluss deutlich: Das Projekt bewege sich im Rahmen des Planungsrechts, sei deshalb legitim. Ein fahler Nachgeschmack hängt über der Veranstaltung. Die Bürgerinitiative will nicht aufgeben, sondern den Bau noch stoppen. Wie das gehen soll, weiß man noch nicht. Vier Monate Zeit hat sie noch, ehe die Baumaschinen kommen.

ROMAN SCHMIDSEDER