Das leichteste Spiel

Selbstbewusst sehen die Polen dem Finale gegen Deutschland entgegen. Kein Wunder: Das Team von Bogdan Wenta hat in der Vorrunde den Gastgeber bereits besiegt

Alles nur ein großer Bluff? „Nein, nein“, stellt Bogdan Wenta klar, „das war keine Lüge.“ Der Trainer der polnischen Nationalmannschaft versicherte, dass viele seiner Spieler tatsächlich von einem Magen-Darm-Virus erfasst worden seien vor dem 36:33-Sieg gegen Dänemark. Umso sensationeller fand der 45-Jährige daher die Leistung seines Teams gegen den favorisierten EM-Dritten. „Jetzt wollen wir auch Weltmeister werden“, sagt Marcin Lijewski, der 29-jährige Linkshänder von der SG Flensburg-Handewitt. Lijewski freut sich über den Finalgegner Deutschland, den man in der Vorrunde mit 27:25 bezwungen hatte. „Das ist eine sehr gute Situation für uns“, sagt der wurfgewaltige Rückraumspieler. Das defensive deutsche 6:0-Abwehrsystem liege seinem Team.

Genau wie hierzulande ist nach dem Finaleinzug auch in Polen eine Euphorie ausgebrochen. Die Zeitungen berichten ausführlich von der Renaissance des Teams, dessen Erfolge schon Staub angesetzt hatten: Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal und bei der WM 1982 in der Bundesrepublik sprang jeweils eine Bronzemedaille heraus. Wie dieser wundersame Aufstieg zu einer Weltmacht des Handballs zustande kam, darüber sind bereits die ersten Mythen entstanden. Eine Erzählung besagt, dass sich die Mannschaft nach dem 22:31-Desaster in der Hauptrunde gegen Frankreich zusammensetzte und sich gegenseitig gehörig die Meinung geigte. „Wir haben uns angeschrien“, grinst Lijewski, „bis nachts um drei, und danach haben wir wieder angefangen, Handball zu spielen.“

Warum sein Team ausgerechnet jetzt die eigentlich wenig durchlässigen Hierarchien des Welthandballs durcheinanderbringt, dafür hat Lijewski eine plausible Erklärung: „Wir sind nicht mehr nur drei Leute im Rückraum, die internationale Klasse haben, sondern wir haben jetzt 16 Leute, die alle fast gleich stark sind.“ Im Bewusstsein, dass nur ein ausgeglichener Kader den Erfolg bei Großereignissen ermöglicht, hat Trainer Wenta zielgerichtet junge Spieler herangeführt. Dass nun mit dem erst 22-jährigen Halblinken Michal Jurecki ein Nobody zwei entscheidende Treffer in der zweiten Verlängerung gegen Dänemark gelangen, freute Wenta daher umso mehr: „Dass der jüngste Spieler die wichtigsten Tore wirft, spricht für den Geist in dieser Mannschaft.“

Nun müssen sie gegen „19.000 und sieben Deutsche“ (Lijewski) antreten. Doch das verunsichert die Osteuropäer nicht. Das bewies der Vorrundensieg gegen Deutschland. Für Trainer Wenta kommt jetzt gar „das leichteste Spiel für uns“. Sollte sich das sportliche Wunder fortsetzen und die Polen kehren tatsächlich als beste Handballer zurück nach Hause, sind die Schlagzeilen schon vorformuliert. Eine lautet: „Vom Lazarett zum Weltmeister“. ERIK EGGERS