Hüter der Dreckschleudern

Das Ökoimage Deutschlands trügt. Die Regierung fährt mit ihrer Umweltpolitik die eigenen Klimaziele gegen die Wand

VON NICOLA LIEBERT

In der Klimapolitik ist Deutschland alles andere als ein europäischer Vorreiter. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas widerspricht so vehement dem Eindruck, den die Bundesregierung zu erwecken versucht. Andere Staaten seien schon viel weiter, sagte Dimas der Bild am Sonntag, wie zum Beispiel Großbritannien und Schweden. Er appelliert daher an die Deutschen, „den schönen Reden Taten folgen“ zu lassen. Denn „wenn Deutschland sich querstellt, macht der Rest Europas nicht mit“.

Auch weltweit gesehen schneidet die Bundesrepublik eher schlecht ab. Sie nimmt mit ihren CO2-Emissionen laut der Weltenergieorganisation IEA den sechsten Platz ein – nach den USA, China, Russland, Indien und Japan. Aber China hat immerhin 16-mal und Indien fast 13-mal so viele Einwohner wie Deutschland. Betrachtet man den CO2-Ausstoß pro Kopf, finden sich die Deutschen auf einmal an dritter Stelle wieder, ganz knapp hinter den Russen.

Am Freitag hatte der UN-Ausschuss zum Klimawandel (IPCC) einen Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts um bis zu 6,4 Grad und die Erhöhung des Meeresspiegels um bis zu 59 Zentimeter prognostiziert. Doch kaum sind die mahnenden Worte der Klimaexperten verklungen, macht die deutsche Regierung deutlich, dass sie sich jedenfalls nicht in der Verantwortung sieht. So brüstete sich Kanzlerin Merkel gerade ebenfalls in Bild am Sonntag: „Schon heute erbringt Deutschland allein 75 Prozent der in der EU insgesamt zwischen 2008 und 2012 zu erbringenden Senkung der Treibhausgase.“ Ein Tempolimit auf Autobahnen, wie es jetzt auch Dimas anmahnte, sei überhaupt nicht nötig, und einheitliche CO2-Grenzwerte für Autos seien schlicht falsch. „Mit aller Härte“ werde sie gegen die entsprechenden EU-Pläne vorgehen, versprach sie den deutschen Industrieverbänden vergangene Woche. Große Autos sollen auch große Klimasünder sein dürfen, so die Position Berlins.

Auch sonst tut die Bundesregierung alles, um die Industrie vor jeglichen klimapolitischen Anforderungen zu bewahren. Seit Monaten widersetzt sich Umweltminister Sigmar Gabriel den Forderungen aus Brüssel, den deutschen Unternehmen weniger CO2-Emissions-Rechte zuzuteilen – offenbar nach dem wortwörtlich zu verstehenden Motto „Nach uns die Sintflut“. Die EU will zwischen 2008 und 2012 maximal 453 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zulassen, Berlin verlangte mindestens 467 Millionen. Als äußersten Kompromiss bot Gabriel eine Senkung um 2 Millionen auf 465 Millionen Tonnen an. Ein Opfer wird der Industrie damit nicht abverlangt. Schon jetzt sind mehr Emissionsrechte im Umlauf als benötigt.

Dass Deutschland mit solch einer windelweichen Klimapolitik seine eigenen Klimaziele wohl verfehlen wird, zu diesem Schluss kam schon Ende 2005 die Deutsche Physikalische Gesellschaft. Im Rahmen des Kioto-Protokolls zum Klimaschutz hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, bis 2012 ihre eigenen Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 21 Prozent zu verringern. 1995 hatte die Regierung sogar noch eins draufgesetzt: Minus 25 Prozent sollten es bis 2005 werden. Nur minus 17 Prozent sind es jedoch geworden – und das auch nur vor allem aufgrund des Niedergangs der DDR-Industrie kurz nach der Wende.

Dessen ungeachtet versucht Merkel nun, den Schwarzen Peter anderen zuzuschieben. Die EU solle sich erst mal verpflichten, den CO2-Ausstoß bis 2020 insgesamt um 30 Prozent zu verringern. „Wir werden dabei zunächst 20 Prozent anbieten“, so die frühere Umweltministerin. „30 Prozent bieten wir an, wenn auch Länder wie die USA mitmachen.“ Die tragen immerhin fast ein Viertel zu den globalen CO2-Emissionen bei.

Der Klimastreit befeuert inzwischen auch die Atomdebatte. Merkel scheut zwar davor zurück, den Atomausstieg offen in Frage zu stellen. Trotzdem machte sie klar, dass sie mit der Atomkraft die besten Chancen sieht, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat Umweltminister Gabriel nun aufgefordert, den Anträgen der AKW-Betreiber auf Laufzeitverlängerung stattzugeben.