Protestieren für Protestanten

Viel Gospel, aber wenig Baptistenkirchenekstase: Radiomoderator Ron Williams hat mit „King of Love“ ein Musical über Martin Luther King geschrieben. In der Gedächtniskirche wurde es vor mitklatschfreudigem Publikum aufgeführt

Am Anfang fallen die tödlichen Schüsse. Am Ende des Freitagabend steht das Premierenpublikum in der Gedächtniskirche begeistert auf und klatscht beim Schlussgospel mit. Schön im Takt, auf 1 und 3. Wir sind schließlich in Berlin und nicht in Memphis.

Dazwischen hat Moderator, Schauspieler und Entertainer Ron Williams, einer der wenigen erfolgreichen Showbusiness-Schwarzen in Deutschland, das Leben des größten schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King als Musical zu erzählen versucht. Und immerhin unterscheidet sich „The King of love“ deutlich von anderen Musicals: Normalerweise nerven immer die Songs am meisten.

Hier nervt eher das Dazwischen. Das liegt nicht an den Darstellern: Ron Williams singt in seiner vertrauten Plauder-Radiostimme als Martin Luther King jr. leidlich oder predigt leidenschaftlich von der Kanzel; und das Ensemble mitsamt Fassbinder-Darsteller Günther Kaufmann hängt sich richtig rein (nur Chöre und Musik stammen leider vom Band). Immer wieder schmettert auch eine echte US-amerikanische Baptistentochter ihr beeindruckendes Preacherorgan durch die Kirche: „Church Lady“ Deborah Woodson war schon mit den Weather Girls auf Tournee und hat sympathischerweise genau deren Figur.

Doch was sich einfach nicht einstellen will bei diesem Mix aus zu vielen Erzählparts, wenigen Spielszenen und Musik, ist ein runder Gesamteindruck. Vielleicht liegt es an den merkwürdigen Bühnendesigneinfällen: Ständig werden Menschen auf „Hunden“, also großen fahrbaren Paletten, in die reduzierte Deko rein- und rausgerollt. Anfangs ist es Kings Sarg, dann eine symbolische Demo, sogar bei der „King im Knast“-Szene wird Williams durch die Kirche geschoben wie ein Regal im Baumarkt.

Die Musik wiederum hinkt ein wenig hinterher. Der Mitklatsch-Gospel mit Texten wie „Marchin' hand in hand / marchin' on to freedomland“ ist schon okay, aber man wird das Gefühl nicht los, dass sich noch ganz andere Fässer hätten aufmachen lassen. Schließlich kippen Zuschauer in Baptistenkirchen regelmäßig vor musikalischer Hingabe aus den Latschen.

Dagegen verhallt die Szenenklaviermusik recht beiläufig. Auch die Versuche, den zur Gewalt bereiten Malcolm X als Kings Gegenspieler durch einen moderneren Sound darzustellen, bleiben stecken: Mutig wäre es gewesen, wenn Afrob oder Samy Deluxe lässig und gefährlich ihre Ansichten zur Bürgerrechtsbewegung hingerappt hätten. Stattdessen klingt es meistens eher seicht. Und den Humor, der einem betont lockeren Format wie Musical stets gut steht, muss man mit der Lupe suchen.

In Ausschnitten wird das Leben von King angerissen: seine Kindheit, die Ehe mit Coretta und der Montgomery-Bus-Boykott durch Rosa Parks als Initialzündung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Dann geht es weiter mit dem ulkigen Verhältnis des FBI zu King, wenn Williams den ehemaligen Frontmann der Ostbeat-Band Karussell, Dirk Michaelis, sinnfrei „Ich bin Hoover – ich kann nicht anders“ intonieren lässt. Der Ku-Klux-Klan tritt auf, ein paar rassistische Südstaaten-Hillbillies führen etwas Square Dance auf, und man weiß nicht genau, ob das Publikum nicht ebenfalls aus Versehen, quasi aus dem Boss-Hoss-Gefühl heraus mitklatschen würde, wenn die Cowboys und -girls noch ein bisschen weitergetanzt hätten. Aus „I have a dream“ wird der Song „I have a dream – I’m a believer“, und das ist ohnehin das Angenehmste an den extra komponierten Gospelstücken: Sie sind alle in Englisch, und sie sind nicht zu lang.

Trotzdem lässt sich mit einem von Dr. Antje Vollmer protegierten Musical über einen Prediger das protestantische Sozialkitschniveau nur schwer verlassen. Am Ende ist einem weder die spannende und extrem wichtige Person Martin Luther King wirklich nahegebracht worden, noch hat das Stück zu einer Form gefunden, die einem das Herz, besser noch: die Seele wärmt. Doch sei's drum, im marschmusikaffinen Deutschland zählt schon der Versuch. Es ist immer noch besser, Touristen für ein Musical über schwarze Bürgerrechtler in der Gedächtniskirche zu gewinnen, als einfach nur den Reisebus vor der „Cats“-Location zu parken. JENNI ZYLKA