schwabinger krawall: wasser von oben von MICHAEL SAILER
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Der Fleck an der Küchendecke ist unscheinbar, aber zweifellos vorhanden. Das sei feucht, sagt Frau Reithofer. Ihr Mann, der sich fünf Tage auf sein Wochenende gefreut hat, sagt, dann werde es auch wieder trocknen. Am Nachmittag ist der Fleck suppentellergroß, und just mit dem Beginn der „Sportschau“ fängt es an,von der Küchenlampe zu regnen. Das, stellt Herr Reithofer fest, gehe zu weit.

Der Versuch, die alte Frau Reibeis herauszuklingeln, bleibt erfolglos. Nachdem sie nachbarlich routiniert an der Tür gehorcht hat, sagt Frau Reithofer, man müsse diese sofort aufbrechen, weil bei einer 94-Jährigen jederzeit damit zu rechnen sei, dass sie tot in der Wohnung liege. Die alte Kachel, murrt ihr Mann, werde sie alle überleben, dennoch holt er den Dietrich und stellt nach einigem Stochern fest, dass da wohl ein Steckschloss drin sei und Frau Reibeis es mit ihrer Furcht vor Einbrechern langsam übertreibe.

Als Blende und Griff abgeschraubt sind und Herr Reithofer darangeht, das Schloss mit dem Schraubenzieher gewaltsam zu öffnen, tritt aus der Nachbarwohnung ein junger Mann und fragt forsch, was hier vorgehe. Das sei nicht sein Bier, sagt Herr Reithofer, er solle sich erst einmal legitimieren. Er wohne seit zwei Wochen hier, sagt der Mann; Frau Reithofer keift, das könne jeder behaupten und sie habe ihn jedenfalls noch nie gesehen. Man könne wohl hier wohnen, ohne sich bei ihr anzumelden, brüllt der junge Mann und holt zu einer Theorie über die Fortdauer des Dritten Reiches in Westschwabing aus, aber da stapft die alte Frau Reibeis die Treppe herauf, beladen mit Einkaufstaschen, die sie beim Anblick der Versammlung vor ihrer Tür und deren Zustand sofort fallen lässt.

Ihm, schreit sie Herrn Reithofer an, habe sie am wenigsten zugetraut, ein solcher Spitzbub zu sein. Sie solle nicht so saudumm daherreden, brüllt Herr Reithofer, er habe ihr mehr oder weniger das Leben gerettet, und im Übrigen regne es von seiner Küchendecke herab, wofür er sie haftbar machen werde.

Frau Reibeis zieht eine Gurke aus ihrem Beutel und schlägt auf Herrn Reithofer ein, dessen Frau sich kreischend dazwischenstürzt, während der junge Mann brüllt, da sei er ja ins reinste Tollhaus geraten und er rufe jetzt die Polizei. Frau Reithofer packt ihn am Arm; bei dem Versuch, sich loszureißen, rutscht der junge Mann aus und fällt in eine Pfütze. Das klatschende Geräusch lässt alle Beteiligten in ihrem Furor innehalten. Da habe man ja den Übeltäter, triumphiert Herr Reithofer, als er sieht, dass der Flur der Wohnung des jungen Mannes komplett unter Wasser steht.

Er irrt: Das Wasser entstammt dem vom Wannenrand gerutschten Waschmaschinenschlauch der Frau Hackl im vierten Stock, aber weil es derweil im Parterre angelangt ist und sich daher auch die Mietparteien Hammler, Vierlinger und Kiermeier an der handgreiflichen Ursachenforschung beteiligen, gelingt es erst der vom neuen Nachbarn herbeigerufenen Polizei, dies festzustellen. Die zwölf Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung zieht man, durch die aufrichtige Reue der Verursacherin besänftigt, an Ort und Stelle zurück und wünscht sich einen schönen Sonntag.