Der Breisgauer Blick

Neun Exilanten aus dem Badischen ergeben zwei Bands aus Prenzlauer Berg: Tele und Geschmeido. Ihre neuen Alben „Wir brauchen nichts“ und „Auf Wiedersehen“ erscheinen zeitnah. Tele pendelt souverän zwischen dem Politischen und dem Privaten, Geschmeido bohrt in Gefühlshaushalten

VON THOMAS WINKLER

Nein, eine gemeinsame Stammkneipe mit arena-Abonnement ist denn doch nicht nötig. Spielt der Fußballzweitligist SC Freiburg, darauf legt Francesco Wilking einigen Wert, habe man nicht das Bedürfnis, sich das unter lauter Badensern anzuschauen. Ansonsten aber ist die Enklave in Prenzlauer Berg recht heimelig: Tele und Geschmeido – zwei Bands, ein Übungsraum, neun Exilanten aus dem Badischen.

Fast zeitgleich erscheinen jetzt die neuen Alben der Wahlberliner. Den Anfang machten Ende Januar Geschmeido mit „Auf Wiedersehen“ und demnächst folgt „Wir brauchen nichts“ von Tele. Ein Lied darauf erinnert nicht nur im Titel an „Our House“ von Madness und endet mit der stetigen Wiederholung eines einzigen Satzes. Immer wieder singt Francesco Wilking über „Unser kleines Haus“: „Auch wenn der Rest der Welt untergeht, es bleibt stehen.“

Das ist weniger ein Mantra für den Freiburger Zirkel als vielmehr ein Song über die Enge in einer Beziehung. Wenn Wilking über die Liebe singt oder prototypische Lebensläufe entwirft, wie er es in einem überwiegenden Teil seiner Lieder tut, scheint immer wieder Aktuelles durch seine Texte, bisweilen sogar die Nachrichtenlage. Mit seiner quengeligen, ein wenig nöligen Stimme, die manchen nerven mag, aber längst zum Markenzeichen von Tele geworden ist, singt Wilking also vorzugsweise Zwischenmenschliches und Biografisches, auch davon, „wie alles auseinanderfällt“, denn schließlich „kriegt man die Welt, in der wir leben, nun mal nicht raus aus den Texten“. Also spielen Anne Will, Sido oder Bushido ebenso Nebenrollen wie Bombendrohungen am Tegeler Flughafen.

Oder die prekären Verhältnisse: Auch wenn Wilking sagt: „Einen Hartz-IV-Mythos aufzubauen, das interessiert mich nicht“, lassen sich viele seiner Zeilen in diese Richtung deuten. Das beginnt beim Albumtitel „Wir brauchen nichts“, der wie eine Antwort auf den noch expliziter benannten Vorgänger von 2004 „Wovon sollen wir leben“ klingt. Wilking und seine Kollegen wissen gut, wovon sie singen: So hat man, auch wenn Tele bei einer gut betuchten Plattenfirma unter Vertrag sind, „notorisch wenig Geld“.

Das Interview findet in der recht mondänen Kantine des Unterhaltungskonzerns mit Spreeblick statt; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man sich über Wasser halten muss mit Nebenjobs und Arbeitslosengeld II. „Wenn man Musiker ist, dann ist das halt so“, lächelt Wilking durch seinen rotblonden Vollbart, „man macht so lange Musik, bis man damit Geld verdient. Oder man macht irgendwann weniger Musik, um Geld zu verdienen.“ Diese Entscheidung könnte schon recht bald anstehen. Denn „Wovon sollen wir leben“ war zwar ein Erfolg bei den Kritikern, aber noch kennt man sein Publikum, meint Wilking ironisch, „mit Vor- und Nachnamen“. Und schließlich haben die meisten Bewohner der badischen Enklave die dreißig schon überschritten.

Die angesammelte Erfahrung sorgt allerdings dafür, dass Tele musikalisch eine selten gut geölte Maschine sind. Dass sie dabei bisweilen klingen wie die verblichenen, einstmals aber vor allem bei Teenagern recht beliebten Echt, ist zwar leicht irritierend. Aber es dürfte in der Stadt keine Band geben, deren Pop so gekonnt Mainstream-Versatzstücke adaptiert, ohne sich zynisch abzusichern, und dabei doch nicht in ausgelutschten Klischees endet. Wirklich verwunderlich aber ist es, dass diese Texte vornehmlich durch Improvisation entstehen. Während die Band im Übungsraum detailverliebt an den vorzugsweise mittelschnellen Rhythmen und den oft butterweichen Arrangements schraubt, geht Wilking souverän den Weg vom Politischen ins Private und wieder zurück.

Hier liegen denn auch die Differenzen zu den badischen Kumpels. Denn Unterschiede gibt es, auch wenn die, sagt Stefan Wittich, „für Außenstehende wahrscheinlich nicht groß sind“. Wittich muss es wissen, er ist Schlagzeuger bei beiden Bands. Bei Geschmeido, erzählt er, „gehen alle Querverweise in die Siebzigerjahre: Gainsbourgh, Television, Dylan“. Tele arbeiten begeistert mit moderner Technik, Geschmeido dagegen sind fast Fundamentalisten, was ihren organischen Sound betrifft.

Auch in den Texten des Albums „Auf Wiedersehen“ sucht man aktuelle Bezugnahmen meist vergeblich. Stattdessen kreist Songschreiber Philippe Frowein beständig um Befindlichkeiten und ergeht sich in kryptischer Bildsprache, wenn er den Gefühlshaushalt junger Großstädter beschreibt. Seine Protagonisten haben nichts mehr zu verlieren, nachdem ihnen das Herz eingefroren wurde, sie schalten die Notbeleuchtung aus und Leuchttürme ein, ihre Beziehungen sind „wie ein Viermaster ohne Wind“, ihr „Lebensplan ist suburban wie Taxifahr’n mit Stroboskop“.

So fügen sich die beiden Platten, wenn auch nicht ausdrücklich gewollt von ihren Urhebern, zu einem schlüssigen Porträt einer Generation, die es in der Provinz ebenso wie in den großen Städten gibt. Die badischen Exilanten sind hier wie dort zu Hause, sodass Tele mit „Bye-bye Berlin“ sogar ein zielsicherer wie liebevoller Abgesang auf die Wahlheimat gelungen ist. Da singt Wilking: „Ich will zurück nach …“, lässt aber offen, wohin. Er versichert, dass keiner vorhat, Berlin zu verlassen. Der Breisgauer Blick bleibt uns also bis auf Weiteres erhalten.

Tele: „Wir brauchen nichts“ (Vertigo/Universal). Geschmeido: „Auf Wiedersehen“ (Tapete/Indigo)