Durch jede Figur schaut ihr Skelett

„Hört da noch jemand?“ Die Erinnerung an den Holocaust von Józef Szajna in der ehemaligen polnischen Botschaft

Wäre doch nicht der Ausstellungsort schon so traurig: Das Haus der ehemaligen polnischen Botschaft Unter den Linden wartet auf Abriss und Neubau. Die Luft in den Räumen schmeckt alt. Von den Plakaten, die für den polnischen Künstler Józef Szajna in die Fenster gehängt wurden, ist schon eins runtergefallen.

Alles atmet Trauer in Szajnas Werk, das in Kooperation der Gedenkstätte Buchenwald, des polnischen Kulturministeriums und des deutschen Auswärtigen Amts nach Berlin gebracht worden ist. Józef Szajna hat die Konzentrationslager von Auschwitz und Buchenwald überlebt, und das prägt seine Kunst, seine Zeichnungen, Collagen, Bühnenbilder und Installationen bis heute. Dass unter den Opfern viele Polen waren, die er in den meisten Gedenkpolitiken nach wie vor vergessen sieht, lässt den heute fast 85-Jährigen nicht los.

Vieles wiederholt sich in seinem Werk, verengt sich auf eine Bewegung in den Tod hinein. Durch jede Figur schaut ihr Skelett. Die Stiefel der Soldaten, sie werden in Installationen noch aus den 90er-Jahren zu mannshohen Skulpturen, die über einen Teppich aus den winzigen Fotos der Lagerinsassen trampeln. Schuhe, die an die Schuhberge erinnern, die in den Vernichtungsstätten nach den Massenmorden gesammelt wurden, füllen leere Silhouetten aus. Andere Schuhe, die Szajna gezeichnet hat, gehen den Todesmarsch.

Und Streifen tauchen überall auf, erst die Streifen der Häftlingskleidung, dann die Streifen von Strichcodes. Das Versinken in einer anonymen Masse, das Verlieren der eigenen Individualität: Józef Szajna hat es in allen Formaten durchgespielt.

Lange Jahre war er Regisseur und Leiter eines Theaters in Nova Huta – sicher sind seine Installationen aus Puppen, Prothesen und Gasmasken auch deshalb so theatralisch. In manchen Momenten wird seine Kunst fast gruselig, erinnert an Hollywoodhorror und verliert etwas von der Enge der Verweise auf den Holocaust. Auch Spuren von Dada, Ansätze zur grotesken Verfremdung lassen sich ausmachen – aber die Erinnerung ist in dieser Ausstellung mit dem Titel „Hört da noch jemand?“ so mächtig, dass sie jede andere Form der Auseinandersetzung zur Seite drängt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Józef Szajna. Ehemalige polnische Botschaft, Unter den Linden 71–72. Di.–So. 11–18 Uhr, bis 31. März