Todesurteil wegen „Separatismus“

In der Provinz Xinjiang führt China seinen eigenen „Krieg gegen den Terror“. Jüngstes Opfer: Der uigurische Aktivist Ismail Semed. Er wurde am Donnerstag nach dubiosem Gerichtsurteil per Genickschuss hingerichtet – wie dutzende Uiguren vor ihm

AUS PEKING GEORG BLUME

Eigentlich ist das weitgehend unbeteiligte China der lachende Dritte im US-amerikanischen „Krieg gegen den Terror“. Je mehr sich die USA in diesem Krieg diskreditieren, desto unaufhaltsamer gewinnt Peking an Einfluss und Macht. Und trotzdem kann Chinas KP den Verlockungen des Kriegs nicht immer widerstehen. Deshalb musste am Donnerstag der uigurische Aktivist Ismail Semed sterben.

Semed wurde zuvor von einem Gericht in der westchinesischen Provinz Xinjiang zum Tode verurteilt. Ihm wurden separatistische Aktivitäten und Sprengstoffbesitz vorgeworfen. Laut einem Bericht des US-Senders Radio Free Asia wurde sein Todesurteil am Donnerstagmorgen per Genickschuss vollstreckt.

Semed war für die chinesische Justiz ein alter Bekannter. Bereits zweimal musste er Gefängnisstrafen absitzen. Schon 1990 sei er angeblich an einem lokalen Aufstand der Uiguren gegen ihre chinesischen Herrscher beteiligt gewesen. Später setzte er sich nach Pakistan ab, wurde von dort aber 2003 nach China abgeschoben. Peking wirft den aus seiner Sicht separatistisch tätigen Uiguren enge Beziehungen zu al-Qaida und den Taliban in Afghanistan und Pakistan vor.

Die ethnische Minderheit der Uiguren, der Semed angehörte, sind türkischsprechende Muslime, die seit Jahrhunderten das ehemalige Ostturkestan bewohnen. Vom 8. bis Ende des 19. Jahrhundert standen die uigurischen Gebiete nie lange unter chinesischer Herrschaft. 1884 wurde ihr Land formal ins chinesische Kaiserreich eingegliedert. In der Praxis aber unterwarfen erst die Truppen der Roten Armee im Jahr 1949 das riesige Gebiet im Westen Chinas. 1955 wurde es zur Autonomen Region Xinjiang ausgerufen. Wenig später flohen zehntausend Uiguren vor der Zwangkollektivierung unter Mao in die Sowjetunion. Eine zweite Flüchtlingsbewegung folgte während der Kulturrevolution. Zugleich begann in den 60er-Jahren mit der Entdeckung von Ölfeldern in Xinjiang eine systematische chinesische Besiedlungspolitik. Sie führte dazu, dass von den heute 19 Millionen Bewohnern von Xinjiang nur noch die Hälfte Uiguren sind.

Wer Xinjiang besucht, erlebt eine völlig geteilte Gesellschaft. Chinesen und Uiguren leben in getrennten Bezirken, kaufen in getrennten Läden ein und arbeiten in der gleichen Firma in getrennten Einheiten. Vor diesem Hintergrund alltäglicher Apartheit setzen sich einige Uiguren – verstärkt seit Ende der 90er-Jahre – für die Unabhängigkeit ihres Landes ein – einige mit friedlichen Mitteln, andere befürworten Gewalt.

Für Peking aber gelten alle politisch aktiven Uiguren als „Terroristen“. So werden seit Jahren in Xinjiang die gemessen an der Bevölkerungszahl meisten Todesurteile vollstreckt. Die Anklagen reichen von „Mitglied einer oppositionellen Untergrundvereinigung“ über „bewaffneten Widerstand“ bis zu jener „versuchten Landesspaltung“.

Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und Human Rights Watch haben deshalb in den letzten Jahren ihre ausführlichste Menschenrechtskritik an China den Zuständen in Xinjiang gewidmet. Sie werfen Peking vor, „schwere Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren mit dem internationalen Krieg gegen den Terror zu rechtfertigen“.

Peking aber gibt nicht nach. Von offizieller Seit heißt es, dass die uigurischen Terroristen in den letzten zehn Jahren mehr als 160 Menschen getötet hätten. Als die Polizei im Januar ein „Terroristencamp“ aushob, 18 Verdächtige tötete und 17 Verdächtige verhaftete, berichteten die Pekinger Zeitungen darüber wie über eine Siegesmeldung in einem Krieg.