Neue Anklagen gegen früheren Yukos-Chef

Dem inhaftierten Michail Chodorkowski und seinem damaligen Kompagnon Platon Lebedew wirft die russische Staatsanwalt Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Diebstahl vor. Anwältin nennt Anschuldigungen absurd

MOSKAU taz ■ Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat gestern gegen den ehemaligen Eigentümer des Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, und dessen früheren Kompagnon, Platon Lebedew, eine neue Anklage wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Diebstahl in Milliardenhöhe erhoben. Das teilten Anwälte der beiden Inhaftierten mit, die zur Anklageverlesung nach Tschita in Ostsibirien angereist waren.

Die Hauptstadt der Republik Burjatien liegt sechs Flugstunden von Moskau entfernt. Die Verteidigung mutmaßt, dass der abgelegene Ort bewusst gewählt worden sei, um ihre Arbeit zu erschweren. Bereits auf der Hinreise nach Tschita war das Anwaltsteam am Sonntag von der Miliz auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo festgehalten worden. Erst nach Intervention des Radiosenders Echo Moskau und einiger Nachrichtenagenturen wurden die Anwälte freigelassen. In der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft sollen nach Auskunft der Anwälte die Beschuldigten die Vorwürfe zurückgewiesen haben.

Die beiden Oligarchen verbüßen zurzeit eine achtjährige Lagerstrafe, zu der sie ein Moskauer Gericht im Mai 2005 wegen schweren Betrugs verurteilt hatte. Der Prozess sorgte für Aufsehen, weil es das erste Verfahren gegen einen russischen Geschäftsmann war, das mit Enteignung und Haftstrafe endete.

Chodorkowski hatte in den 90er-Jahren Filetstücke des Energiesektors auf zweifelhafte Weise erworben und sie zu einem florierenden Wirtschaftsimperium ausgebaut. In der Anwendung illegaler Methoden unterschied sich der Oligarch nicht von anderen Geschäftsleuten, die das sozialistische Staatsvermögen unter sich aufteilten.

Bei dem Prozess wurde offen gegen rechtsstaatliche Standards verstoßen. Nach außen stellte der Kreml den Prozess als ein Verfahren gegen einen Wirtschaftsdelinquenten dar. Es ging jedoch um mehr. Der Oligarch hatte Anspruch auf die politische Macht angemeldet und unterstützte Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft. Sein Entwurf für Russland orientierte sich an einer „offenen Gesellschaft“ und widersprach den Vorstellungen der Herrscherriege in Kremlnähe. An Yukos wurde ein Exempel statuiert. Das Kalkül ging auf. Kein Oligarch wagte es, nach der Affäre politische Ambitionen anzumelden.

Auch die neue Anklage steht in Verbindung mit früheren politischen Ambitionen des Yukos-Chefs, meinen die Anwälte. Den Inhaftierten wird vorgeworfen, Öl einer Yukos-Tochterfirma gestohlen und den illegalen Erlös durch die Stiftung „Offenes Russland“ gewaschen zu haben. Die Anwältin Karina Moskalenko nannte die Vorwürfe „absurd“.

In Tschita herrscht unterdessen höchste Alarmstufe, als fürchte die sonst verschlafene Stadt einen Terroranschlag. Bis an die Zähne bewaffnete Militärs bevölkern jedes Gebäude und jede Straßenecke. Beobachter vermuten, mit dem neuen Verfahren wolle der Kreml einer vorzeitigen Entlassung nach Verbüßung einer Teilstrafe vorbeugen. KLAUS-HELGE DONATH

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