Alles gar nicht sauber

In dem experimentellen Dokufilm „Kurz davor ist es passiert“ (Forum) sprechen Zwangsprostituierte und Sklavinnen aus den Mündern total normaler Österreicher

Sie wandeln sich zu nüchternen Ich-Erzählern, die von fünf Katastrophen berichten

Der Menschenhandel über die europäischen Ostgrenzen und die sexuelle Sklavenarbeit von eingeschmuggelten Frauen ist eine mächtige Schattenwirtschaft. Jeder weiß von dieser Parallelwelt, aber die öffentliche Darstellung spricht zweierlei Sprachen. Die polizeiliche Aufklärungsarbeit über die kriminellen Mechanismen steht neben einem scheinheiligen Voyeurismus, mit dem Medienschlagzeilen und Pressebilder immer auch pornografisch aufgeladen bleiben. Dieser Falle setzt die Österreicherin Anja Salomonowitz in ihrem dokumentarischen Experiment „Kurz davor ist es passiert“ eine artifizielle Filmsprache entgegen, indem sie die Text- und die Bildebene in ein gebrochenes Spiegelverhältnis zueinander bringt.

Sie lässt fünf Österreicherinnen und Österreicher aus typischen Mittelstandsmilieus von fünf Einzelschicksalen verkaufter Frauen erzählen – in fünf streng kadrierten Einzelepisoden und an für Schleusung und Ausbeutung exemplarischen Schauplätzen: einer Zollstation, einem provinziellen Eigenheim, einer Bordellkneipe, einer Konsul-Villa und einem Wiener Taxi. Die 31-jährige Filmemacherin und Cutterin Salomonowitz studierte in ihrer Heimatstadt Wien und an der Potsdamer HFF und war unter anderem für die Montage von Valeska Grisebachs Film „Sehnsucht“ verantwortlich. Für „Kurz davor ist es passiert“, ihren dritten eigenen Film, hat sie im letzten Jahr den Wiener Filmpreis bekommen.

In distanzierten Totalen und quasi-investigativ forschenden Kamerafahrten stellt sie die monströse Banalität dieser fünf Orte aus, die mit ihrer aufgeräumten Leere zwar Frösterln auslösen, für die DarstellerInnen aber ihre gut organisierten, authentischen Lebensmittelpunkte repräsentieren. Alles sauber. Fünf Laienschauspieler treten auf, die nach den vertrauten Codes in ihrer Sphäre agieren – ihr Heimischsein hat allerdings etwas Skurriles. An diesen Orten betreten die Ausgebeuteten nur als Phantome eine imaginäre Szene, indem sie sich die Stimmen der Normal-Österreicher leihen. So berichtet aus dem Körper des Zöllners zum Beispiel eine Frau, die mit ihrem Geliebten nach Europa einreiste, um dann von diesem an Zuhälter verkauft zu werden. Aus der jovialen Nachbarin spricht eine Osteuropäerin mit Kind, die zum Heiraten ins Land kommt, von ihrem österreichischen Patriarchen wie eine Geisel behandelt wird, die Sprache nicht lernen darf und über ihr Kind verzweifelt versucht, aus der Zwangssituation auszubrechen.

Die fünf Darsteller haben sich auf ein Rollenspiel eingelassen, das die distanzierten Blickstrategien und das leider manchmal aufdringlich unheimliche Sounddesign um eine weitere Verfremdungstechnik ergänzt: Während nämlich der Zöllner gelassen Autos durchwinkt, die nette Nachbarin Tupperware verkauft, der Barmann sein spießiges Bordell rituell auf den Abend vorbereitet, die Konsulin Wellness betreibt und schließlich der Taxikutscher Nachtschicht fährt, fangen sie alle an zu monologisieren. Sie wandeln sich zu nüchternen Ich-Erzählern, die fünf Katastrophenberichte zu Gehör bringen.

Die Einzelschicksale von Prostituierten, Au-pair-Mädchen und Ehefrau-Geiseln, die Anja Salomonowitz auf der Grundlage der Geschichten von entkommenen Frauen schrieb, erzählen von Verrat, Ausbeutung, Entwürdigung, Körperverletzung. Sie trugen sich an ähnlichen Orten zu, wie Anja Salomonowitz sie ausstellt. Die verallgemeinernde Filmsprache betont jedoch, dass es sich nicht um biografische Resümees handeln soll, sondern dass hier ein genereller Zustand, ein permanentes Tabu verhandelt wird. Dieser Film macht die Nabelschnur zwischen Kriminellen und Profiteuren, zwischen „fremdem“ Trafficking und einheimischen Nutznießern und Nutznießerinnen bewusst.CLAUDIA LENSSEN

„Kurz davor ist es passiert“. Regie: Anja Salomonowitz. Österreich 2006, 72 Min. Heute, 13. 2., 22.15 Uhr, Cubix