„Ich will den Personen näher sein“

Angela Schanelec ist eine der Regisseurinnen, die unter das Label „Berliner Schule“ fallen. Ihr neuer Film „Nachmittag“ läuft im Forum des Jungen Films. Im Gespräch erzählt sie von der Schönheit des Nachmittagslichts und der Kraft intimer Bilder

INTERVIEW EKKEHARD KNÖRER

taz: Frau Schanelec, schon in Ihrem letzten Film „Marseille“ spielte das Theater in vielen Szenen eine Rolle. Jetzt kommt Ihr neuer Film „Nachmittag“ und bezieht sich relativ explizit auf Tschechows „Möwe“. Versuchen Sie, sich ein wenig vom Film ab- und Ihrem alten Schaffensbereich, dem Theater, wieder mehr zuzuwenden?

Angela Schanelec: Nein. Überhaupt nicht. Die Mittel von Theater spielen in „Nachmittag“ keine Rolle. Mich haben wirklich nur die filmischen Mittel interessiert. Nur inhaltlich kann man es vielleicht als Wiederannäherung verstehen – wobei ich auf „Die Möwe“ schon sehr, sehr lange Lust gehabt habe. Ich hab es ja schon am Theater gespielt, vor ewig langer Zeit, 1990. Aber ich habe mich in „Nachmittag“ extrem weit davon entfernt. Es gibt keinen Satz, der so in der „Möwe“ steht. Alles, auch der dramaturgische Verlauf, ist völlig anders.

Warum haben Sie keinen der Tschechow-Dialog gelassen?

Das wäre überhaupt nicht gegangen. Kein Mensch spricht ja so.

Könnte man über Ihre Dialoge auch sagen …

(lacht) Ja, aber das sind meine. Ich halte nichts von der Verfilmung von Theaterstücken, oder jedenfalls: Das war hier gar nicht die Frage. Ich wollte mich mit den Figuren befassen. Ich kann keine Dialoge abschreiben und dann einen Film daraus machen.

Wie sind die SchauspielerInnen mit der Künstlichkeit der Sprache umgegangen und zurechtgekommen?

Gut. (lacht) Es war einfach so, dass ich beim Casting immer Texte ausprobiert habe und dann so lange nach Darstellern gesucht habe, bis jemand diese Texte einfach sagen konnte, ohne sich zu verdrehen oder ohne drei Wochen darüber reden zu müssen.

War von Anfang an klar, dass Sie selbst die Hauptrolle übernehmen würden?

Nein, das war nicht klar. Aber ich wusste auch nicht, wer es sonst machen soll. Es gab einfach niemanden in dem Alter, den ich richtig gefunden hätte. Maren Eggert zum Beispiel, die in meinem letzten Film „Marseille“ die Hauptrolle gespielt hat, ist einfach zehn Jahre zu jung.

Wie haben Sie die anderen Rollen besetzt?

Ich habe sehr lange nach Darstellern gesucht und ziemlich viel probiert – und war dann letztendlich sehr glücklich mit der Besetzung. Es gab natürlich bestimmte Voraussetzungen bei dem Drehbuch. Die Sprache ist ja ganz eindeutig eine geschriebene Sprache. Und Darsteller zu finden, die sie sprechen können, das war wirklich nicht so einfach.

Hatten Sie bei der Auswahl eine Präferenz für Schauspieler mit Theatererfahrung?

Nein. Es gab da überhaupt keine Präferenzen, wir haben auch unter Laien geguckt. Jirka Zett zum Beispiel, der den Constantin spielt, der war während der Dreharbeiten gerade erst in seinem ersten Jahr an der Ernst-Busch-Schule. Miriam Horwitz, die die Agnes spielt, hat auch erst sehr wenig Erfahrung.

Der Raum des Theaters ist in „Nachmittag“ mit der ersten Einstellung sehr präsent. Es ist eine sehr ungewöhnliche Einstellung, der Blick von der Bühne in den Zuschauerraum hinaus.

Ich wollte, dass der Film mit dem Theater anfängt, mit der Person, die Theater spielt, und mit dem, was sie tut – und nicht mit dem Blick auf eine Bühne. Ich wollte die Person einfach nur bei ihrer Arbeit zeigen – und die Blickrichtung der Leute einnehmen, die Theater spielen und auf der Bühne stehen. Dann hatte dieses Theater, in dem wir gedreht haben, diese Merkwürdigkeit, dass es im Zuschauerraum Fenster gab. So wurde dieser Tageslichteindruck möglich. Ich fand es schön, dass das Nachmittagslicht so schon in dem Theaterraum eine Rolle spielen kann.

Es gibt auch im Weiteren ähnliche Totalen, vor allem immer wieder den Blick auf den See. Aber im Unterschied zu „Marseille“, wo man Maren Eggert immer wieder fast verloren im Bild sieht, gibt es hier so etwas wie eine Filmsprache der Intimität. Sie zeigen viele Großaufnahmen von Gesichtern, auf denen der Blick dann sehr lange verharrt. War das ein bewusstes Konzept, sich diesmal auf diese Weise den Figuren zu nähern?

Ich weiß nicht, ob ich da von einem Konzept sprechen würde. Der Kameramann Reinhold Vorschneider und ich, wir haben vorher sehr genau miteinander überlegt und gearbeitet. Dabei habe ich sehr bald gemerkt, eigentlich schon beim Schreiben des Buches, dass ich das Bedürfnis habe, diesmal näher bei den Personen zu sein. Es kommt dazu, dass der Hauptschauplatz, dieses Haus am See, ziemlich schnell präsent ist und eine wichtige Rolle spielt, ganz anders als in „Marseille“, wo man permanent an neue Orte geht. So habe ich mich dann mehr auf die Gesichter konzentriert. Diese Intimität fand ich auch wichtig im Zusammenhang mit der Künstlichkeit der Sprache.

War von Anfang an klar, dass „Nachmittag“ auf der Berlinale gezeigt werden soll? Oder wäre Cannes für Sie auch eine Möglichkeit gewesen?

Klar wäre Cannes eine Möglichkeit gewesen. Aber da hieß es: „Keine Entscheidung vor März“ – und für mich gab es keinen Grund, darauf zu warten. Es ist einfach auch gut, einen Film gleich zu zeigen, wenn er fertig ist, und so damit abzuschließen.

„Nachmittag“. Regie: Angela Schanelec. Mit Jirka Zett, Miriam Horwitz, Angela Schanelec, Fritz Schediwy, Agnes Schanelec. Deutschland 2007, 97 Min.