Berlins Eiserne Lady

Justizsenatorin von der Aue (SPD) wirft gefeuertem Staatssekretär vor, ihr wichtige Informationen vorenthalten zu haben. Hinter dem Rausschmiss vermuten Insider jedoch machtpolitische Gründe

Von Plutonia Plarre

Bei der Einweihung des neuen Haftkrankenhauses musste Gisela von der Aue (SPD) auf ein Treppchen steigen, um über das Rednerpult blicken zu können. Aber bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt glänzte die neue Justizsenatorin durchaus mit Sachkenntnis. „Sie wirkt sympathisch und an den Dingen interessiert“, so das Urteil der versammelten Vollzugsexperten. Das war am 24. Januar. Inzwischen hat sich die Stimmung ziemlich gewandelt.

Am vergangenen Freitag entließ von der Aue vollkommen überraschend ihren Staatssekretär Christopf Flügge (SPD) (taz berichtete). Flügge galt vielen in Berlin als Garant einer liberalen Justizpolitik. Nicht nur seine politischen Freunde, auch Mitarbeiter der Justizverwaltung und der Haftanstalten reagierten geschockt. „Ist das der neue Stil, jederzeit ohne Nennung von Gründen gefeuert zu werden?“, fragt man sich nun.

Von der Aue begründete ihre Entscheidung am Freitag damit, das „notwendige Vertrauensverhältnis“ zwischen ihr und Flügge sei nicht mehr gegeben. Gestern hieß es ergänzend, Flügge habe der Senatorin im Zusammenhang mit der sogenannten Medikamentenaffäre „mehrfach Informationen vorenthalten“.

Wie berichtet stehen Mitarbeiter der Haftanstalt Moabit im Verdacht, für Gefangene bestimmte Medikamente für sich verwendet zu haben. Der Fall war justizintern bereits im Herbst unter von der Aues Vorgängerin Karin Schubert (SPD) bekannt geworden. Das RBB-Magazin „Klartext“ hatte im Januar berichtet, die Haftanstalt habe fünf Wochen intern ermittelt, bevor die Polizei eingeschaltet wurde. Gegen fünf Bedienstete des Knastes ist ein Ermittlungsverfahren anhängig. Zwei von ihnen sind vom Dienst suspendiert.

Von der Aue hatte erst am 15. Januar, also knapp zwei Monate nach ihrem Amtsantritt, durch den Gesamtpersonalrat von dem Fall erfahren. Sie wirft Flügge vor, er hätte sie von sich aus unterrichten müssen. Auch habe es unterschiedliche Auffassungen über die Art der Aufklärung gegeben, sagt Barbara Helten, von der Aues Sprecherin. „Die Senatorin wollte radikal aufklären. Flügge hausintern.“

Von der Aue hat inzwischen eine Untersuchungskommission eingerichtet, die mit Experten aus Brandenburg besetzt ist. Die Justizsenatorin kennt sie aus ihrer Zeit als Präsidentin des dortigen Landesrechnungshofs. Unabhängig von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werde die Kommission eine umfassende Organisationsprüfung in den Berliner Gefängnissen vornehmen, so Helten. Ob das Ausmaß des Skandals „3,50 Euro beträgt oder 1 Million Euro, wissen wir noch nicht“, sagt die Sprecherin.

Von dem geschassten Staatssekretär Flügge war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Der 59-jährige frühere Amtsrichter hatte seit 1989 die Abteilung Strafvollzug in der Justizverwaltung geleitet. Unter Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) war Flügge 2001 Staatssekretär geworden. „Es ist von der Aues gutes Recht, sich von ihrem Staatssekretär zu trennen. Aber das tut man einvernehmlich und setzt ihm nicht von einer Minute zur anderen den Stuhl vor die Tür“, kritisiert Wieland. Immerhin sei es Flügge gewesen, der von der Aue dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit als Justizsenatorin empfohlen habe. Wieland verweist zudem auf Informationen, wonach an dem Medikamentenskandal „so wenig dran“ sei, dass es vielleicht gar nicht zur Anklage der Knastbediensteten komme.

Warum musste Flügge dann aber gehen? Wie am Landesrechnungshof in Brandenburg wolle sich von der Aue nun auch in Berlin „als große Aufräumerin“ profilieren, meint Wieland. In Justizkreisen kursieren ganz andere Spekulationen: „Sie musste das aus machtpolitischen Gründen tun.“ Umgeben von Flügge und dessen engmaschigem Netz aus Vertrauten hätte die Senatorin in der Verwaltung nie einen Fuß auf den Boden bekommen. Mit Flügges Rausschmiss sei garantiert, dass frischer Wind in die Justiz einziehe. „Die Frage ist nur, woher er kommt“, so die Sorge.