Behauptet, nicht befreit

Überall im Land lächeln derzeit alternde Frauen von Plakatwänden – nackt. Was wie eine Kampagne gegen den „Jugendwahn“ wirkt, wirbt in Wahrheit nur für kosmetische Produkte. Nur? Immerhin!

VON BARBARA DRIBBUSCH

Die Idee ist nicht ganz neu, sorgt aber für Aufmerksamkeit. Eine Werbeagentur hat für den Unilever-Konzern Frauen im Alter zwischen 54 und 63 Jahren abgelichtet – nackt, in nachdenklicher Pose: „Zu alt für eine Anti-Age-Anzeige? Aber das hier ist nicht anti age. Es ist pro age. Denn Schönheit kennt kein Alter“, lautet der Text. Mit der Kampagne wirbt Unilever für eine neue Pflegeserie der Marke „Dove“ für ältere Frauen. Kann Identitätspolitik gegen den „Jugendwahn“ über Produktwerbung überhaupt funktionieren?

Die Idee, alte Frauen auch mal unbekleidet fotografisch in Szene zu setzen, ist jedenfalls gut. Es ist der Körper mit den grauen Haaren, Falten und Schlaffheiten, den eine Mehrheit morgens im Badezimmerspiegel sieht. Die Frauen werden nicht sexualisiert dargestellt, das ist erfrischend. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass ein Kosmetikkonzern „normaler“ aussehende Models in der Werbung einsetzt.

Schon vor zwei Jahren warb Unilever für eine „Dove“-Körperpflegeserie mit fülligeren Models, die in mehreren Ländern gecastet worden waren. Bereits in den 90er Jahren lichtete der Beiersdorf-Konzern eine grauhaarige Schönheit mit Lachfalten ab, um für seine Serie Nivea Vital Kundinnen zu locken. Ende der 90er Jahre stellte der Kosmetikkonzern Bodyshop lebensgroße Puppen mit Fettpölsterchen in seinen Filialen auf, um gegen den Schlankheitswahn zu Felde zu ziehen und das Markenimage zu verbessern.

„Wir stehen auf Eurer Seite“ ist die Botschaft dieser Kampagnen, die sich vorgeblich gegen das Diktat der Jugend, Schlankheit und Ebenmäßigkeit richtet. Doch die Erfahrung zeigt: Diese Kampagnen für mehr Realismus in der Werbung sind nur kurze Unterbrechungen eines endlosen Stroms der Verjüngungs- und Verschlankungsästhetik. Die Kampagnen verhelfen der „Dove“-Marke zwar zu mehr Aufmerksamkeit, weil sie eine Differenz zur herkömmlichen Werbung darstellen. Aber sie sorgen keineswegs für eine Trendumkehr, nach der plötzlich Rundungen, Sommersprossen und Falten in das allgemeine Schönheitsideal eingehen.

Noch auf jede Fotostrecke des Textilkonzerns H & M mit älteren oder runderen Models folgen wieder Kampagnen mit hohläugigen Teenagern, die ätherisch entrückt in die Kamera blicken.

Die „pro age“-Werbeserie ist daher eine strategische Behauptung, keine Befreiung. Man spricht von „pro age“, statt von „anti age“ – doch damit bleiben Frauen immer noch der gleichen Kategorie verhaftet, nämlich der des Alters, auch wenn versucht wird, dieses positiv umzudeuten. Man könnte lästern: Jetzt müssen sich alte Frauen auch noch ausziehen, um zu beweisen, dass sie etwas wert sind und Schönheit „kein Alter“ kennt. Kann man die nicht einfach mal in Ruhe lassen?

Die Werbung ist daher ein gutes Beispiel, warum Kampagnen gegen Diskriminierungen immer zwiespältig sind. Aus der Systemtheorie weiß man, dass schon die Verhandlung über eine Eigenschaft ein Moment der Unterdrückung beinhaltet. Weil nämlich die Menschen, die diese Eigenschaft besitzen, durch das Reden darüber noch stärker darauf reduziert werden.

Frauen, Alte, Leute mit schwarzer Hautfarbe, dicke Menschen kennen den Mechanismus: Sie werden vornehmlich über ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre Hautfarbe, ihren Körperbau wahrgenommen und eingeordnet. Das aber ist das innere Gefängnis – auch wenn man Frauen, Alten, Schwarzen oder Dicken betont erfreuliche Eigenschaften zuschreibt.

Die positive Zuschreibung wirkt wie das Pfeifen im Dunkeln, das erst recht auf die rabenschwarze Nacht verweist. Der innere Dialog mit dem Älterwerden ist es, der Frauen oftmals die gute Laune versaut, weil sie sich gerne auch mal mit sich selbst über etwas anderes unterhalten als über ihren Körper, dessen Ausformungen, Fettdepots und Hautbeschaffenheit. Aber eine Fixierung ist nicht zu durchbrechen, indem man sie verneint oder einfach umdeutet, so eine alte Erkenntnis der Psychologie.

Als die neue Kampagne in Hamburg vorgestellt wurde, war auch die Schauspielerin Hannelore Elsner anwesend, ein Paradebeispiel für „schöner altern“. Elsner selbst findet es inzwischen ziemlich nervtötend, auf die Kategorie Alter reduziert zu werden, obwohl sie andererseits recht gut davon lebt. Einen Mann über 60 würde man nie auf sein Alter ansprechen, sagt sie. Stimmt. Mit einem Mann gibt es Interessanteres zu erörtern. Mit Frauen übrigens auch. Aber solange sich das nicht herumspricht, ist eine „pro age“-Kampagne immerhin ein nettes Spiel – zumal man die Shampoos und Lotionen ja nicht kaufen muss.