Zum Seelsorger statt zur Stadtguerilla

Für ehemalige RAF-Terroristen ist es nach der Freilassung schwierig, wieder Fuß zu fassen. Viele leben in Anonymität. Einige haben ihrer Vergangenheit abgeschworen, andere halten an den alten Zielen fest. Zur Gewalt hat keiner mehr gegriffen

VON DANIEL SCHULZ
UND JAN GEORG PLAVEC

Die Diskussion um die Freilassung der seit 24 Jahren inhaftierten Brigitte Mohnhaupt wird von Medien und Politikern teilweise äußerst heftig geführt. Gestern stellte sich heraus: Die Anführerin der zweiten RAF-Generation hat längst die ersten Schritte in Freiheit getan.

Wie das bayerische Trostberger Tagblatt berichtete, hat Mohnhaupt über Jahre den inzwischen zur Ruhe gesetzten Pfarrer Siegfried Fleiner zu Hause besucht. Der Seelsorger aus dem Ort Kirchanschöring im Landkreis Traunstein bestätigte der taz, dass er die Exterroristin zum vorerst letzten Mal im September 2006 zu einem Spaziergang um den örtlichen See getroffen hat. Fleiner glaubt daran, dass die heute 57-Jährige ein Leben in Freiheit meistern kann: „Sie schafft das, weil sie eine intelligente, disziplinierte junge Frau ist, die weiß, was sie will.“

Fleiner hatte in den vergangenen 15 Jahren freien Zugang zu Mohnhaupt. In jüngerer Vergangenheit hatte die Inhaftierte in Begleitung von zwei Justizvollzugsbeamten immer wieder Fleiner in Kirchanschöring besucht. „Wir waren so etwas wie eine kleine Familie“, sagte der 75-Jährige.

Der ehemalige Pfarrer, der in Guatemala lebte und heute bei den Globalisierungskritikern von Attac aktiv ist, glaubt, dass „Frau Mohnhaupt der Gewalt längst abgeschworen“ hat. Er weist auch Behauptungen zurück, laut denen die ehemalige RAF-Kämpferin keine Reue zeigt: „Bereuen können nur Menschen, die in freier Umgebung leben, nicht aber solche, die so lange eingesperrt sind.“ In einigen Jahren sei eine Entschuldigung bei den Angehörigen von RAF-Opfern durchaus möglich.

Siegfried Fleiner sieht dennoch die Schwierigkeiten, Brigitte Mohnhaupt wieder in die Gesellschaft zu integrieren: „Sie hat jetzt 24 Jahre in einer eigenen Welt gelebt, es wird schwer, sich in Freiheit zurechtzufinden, denn viele alte Bekannte sind nicht mehr da.“

Diese alten Bekannten aber sind es, die in speziellen Fällen wie denen der Exterroristen helfen, sich in der Freiheit zurechtzufinden. Das sagt Johannes Müller, der als kirchlicher Seelsorger im Gefängnis Bruchsal jahrelang mit Christian Klar zusammenarbeitete, der beim Bundespräsidenten um seine Begnadigung ersucht hat. „Einen wie Klar stellt kein Arbeitgeber ein, obwohl er sehr viel Potenzial hat“, sagte der evangelische Pfarrer zur taz.

Dem Seelsorger, der sich statt einer sofortigen Freilassung auch eine Freigängerphase vorstellen kann, war es wichtig, für Klar „Kontakte mit Leuten herzustellen, die eine ähnliche Geschichte haben. Einer wie Klar muss sich auf seine Weise weiterentwickeln und nicht, wie der Staat es will.“ Der hatte versucht, ebendiese Kontakte zu unterbinden. „Klar kann in Freiheit nicht bei null wieder anfangen“, entgegnet Müller, „ich kann mir nicht vorstellen, dass er aufs Arbeitsamt geht und Klinken putzt.“ Viel eher werde sich der Exterrorist „in der alternativen Szene“ bewegen, glaubt Müller, etwa im „kreativ-künstlerischen Bereich“.

Das wäre nicht untypisch für entlassene Ex-RAFler. Zwar leben viele von ihnen sehr zurückgezogen. Andere aber arbeiten heute als freie Autoren oder Filmemacher. Peter Jürgen Boock zum Beispiel, der an der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer beteiligt war. Gefängnisseelsorger Müller könnte sich Ähnliches auch für Christian Klar vorstellen.

Auch Karl-Heinz Dellwo bestreitet sein Leben als Autor und Filmemacher. Dellwo war im April 1975 an einer Geiselnahme in der Deutschen Botschaft in Stockholm beteiligt. Zwei Botschaftsmitarbeiter und zwei RAF-Mitglieder wurden dabei getötet. Wie Boock betrachtete auch Dellwo die RAF in seinen Texten schon früh sehr kritisch.

Das wiederum führte zu Konflikten mit anderen ehemaligen Terroristen, die sich noch immer zu den Zielen der RAF bekennen, wie Inge Viett oder Irmgard Möller. Für sie sind Leute wie Dellwo Verräter. Friedlich geblieben sind sie aber bis heute alle.

Mit Material von AP