Weltwunder im Görlitzer Park

Mittags um zwei, kurz vor dem Frühstück: Uli M. Schueppel lässt in seinem Film „BerlinSong“ (auf der Berlinale) die Berliner Boheme und das Singersongwritertum recht ungehemmt weiterleben. Manchmal wird das richtig lustig

Manchmal braucht es einen Berlinfilm, um die eigene Stadt wieder ein bisschen zu mögen. Uli M. Schueppel hat schon einige Dokumentarfilme über die Einstürzenden Neubauten und Nick Cave gedreht. In „BerlinSong“ im Panorama-Programm der Berlinale erzählt er nun von sechs MusikerInnen aus den USA, England, Australien, Norwegen und Holland, die in der Berliner Neofolkszene gelandet sind. Dabei geht es weniger um ihre Musik, als um das Fortleben des alten Berlinmythos. Jeder soll einen Berlinsong schreiben und seinen Berliner Lieblingsort erklären.

Der norwegische Musiker Einar Stenseng zelebriert mit seinem Zitatwohnen und Zitattrinken das existenzialistische Berlin der Iggy-Pop- und David-Bowie-Phase. Im „Bellheim“ in der Reichenberger Straße inszeniert er sich stilvoll dandyesk an der Bar und gibt den melancholischen Trinker.

Sonst pendelt die Szenerie zwischen Natur am Landwehrkanal und der Betonromantik des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kottbusser Tor. Dort, im Club Westgermany, mit den herunterhängenden Kabeln und der zugemauerten Aussichtsterrasse, sollen die Berlin Songs zur Aufführung kommen. Die aufopferungsvolle Arbeit des Bookers wird recht ausführlich dokumentiert. Aber schön zu sehen, wie die Gepflogenheiten der alten Berlinboheme bei der nächsten Generation weiterleben und man auch heute noch Leute mit einem Anruf um zwei Uhr mittags aus dem Schlaf reißen kann.

Es sind schon arge Hippies, diese jungen Musiker aus aller Welt, die es nach Berlin-Kreuzberg zieht. Das Leben ist ein einziges Zusammenhocken im Gras, man spielt sich Lieder vor, lässt die Weinflasche kreisen und alle haben sich so gern. Da wünscht man sich ein bisschen Gefühl und Härte der 80er Jahre zurück.

Die Musik selbst ist nicht wirklich neu und aufregend, die sechs BerlinSongs klingen nach konventionellem Singersongwritertum im Neofolkstil. Wenn der Schlagzeuger Tommy Sinatupang aus Holland eine alte fensterlose Telefonzelle mit dem ganzen Körper perkussiv bearbeitet und seinen Song in die Welt schreit, wirkt das wiederum auf anachronistische Weise zu gewollt experimentell.

Illustriert hat Schueppel das Leben der Musiker mit altbekannten schwarzweißen Berlinbildern, immer wieder fährt die U-Bahn mit zerkratzten Scheiben am Kottbusser Tor ein. Trotzdem zeigt der Film gerade den schon ewig Ortsansässigen, denen, die seit Jahrzehnten die immer gleichen Wege zwischen Oranienstraße und Oberbaumbrücke ablatschen und dabei das Besondere aus den Augen verloren haben, das alte Kreuzberg in neuem Glanz. Richtig lustig wird es, wenn die Musiker begeistert von ihren Berlinentdeckungen erzählen. Bei der Australierin Kat Frankie wird sogar der Görlitzer Park zum Siebten Weltwunder: „Die Leute tun so, als ob es ihr Garten wäre, es ist alles ganz öffentlich! Da sitzen türkische Familien beim Picknick, und nebenan hocken die Punks und trinken, und junge Eltern bringen ihrem Kind Fahrradfahren bei, und in einem eingezäunten Bereich spielen Jungs Fußball, und eine Frau auf einem Grashügel macht ganz alleine Tai-Chi und andere werfen Stöcke für ihre Hunde! Das alles draußen, ganz öffentlich!“

Aber Kat Frankie ist auch die Einzige, die zarte Bedenken gegen das allzu Easy Living in Berlin anmeldet. Ob das wirklich so gut ist, wenn man tagsüber nur darauf wartet, abends wieder auszugehen? Wenn die Jahre im Fluge vergehen und man immer älter wird? Einar Stenseng lebt inzwischen wieder in Oslo.

CHRISTIANE RÖSINGER

BerlinSong läuft im Rahmen der Berlinale am 14. 2., 15.30 Uhr im Colosseum 1, am 17. 2., 17 im CineStar 7