rösingers revue
: In der Ciabatta-Falle

Eigentlich hat man sich ja innerlich längst versöhnt mit dem Potsdamer Platz. Aber so langsam, nach einer Woche Abhängen zwischen Arkaden, Sony Center und Leipziger Straße, kommt die alte Ablehnung wieder hoch. Es ist nicht alles schlecht: Es gibt immer mehr brauchbare Kaffeehausketten, wo es immer wieder schön ist – überall Stimmen in fremden Sprachen, vorüberwehende Gesprächsfetzen und dazwischen zwei absolut glanzlose deutsche Jungs in blöden Klamotten, die studentische Gespräche führen: „Und würdest du dann sagen, so eine Frau ist attraktiv für dich oder nicht?“

Man sollte in so einer Glamkolumne nicht zu sehr jammern, aber es ist schon schlimm, wie viel Geld man bei der Berlinale verliert! So ein prekarisiert lebender freier Journalist gibt an einem durchschnittlichen Festivaltag nämlich mehr Geld aus, als er mit dem Schreiben verdient. Und das bei einem ganz dürftigen Ernährungsprogramm aus Milchkaffee und Nordseebrötchen von der „Schlemmermeile“ im Arkaden-Untergeschoss.

An Tagen mit unglücklicher Filmauswahl gibt man zu allem Übel noch mehr aus als an den gelungenen Tagen. Kommt man zum Beispiel nach einem ganz okayen, aber wahnsinnig deprimierenden türkischen Raubmordfilm – Schauplatz Istanbuler Speditionsszene – angeschlagen und hungrig aus dem Dunkel des Saales, tappt man allzu leicht in die Fünf-Euro-fünfzig-Ciabatta-Falle. Mit der Zeit und nach solchen Erfahrungen sieht man die Menschen, die früh morgens mit ihren grob zusammengesäbelten Wurstbroten in die Pressevorführung kommen (wir berichteten an dieser Stelle darüber), in einem anderen, milderen Licht.

Aber will man selbst so weit sinken und am letzten Tag der Berlinale mit einer Thermoskanne erscheinen? Nein, niemals! Dem eigenen prekären Ich tut es gut, wenn im britischen Wettbewerbsfilm „Tagebuch eines Skandals“ die wunderbare Judi Dench mit ihrer schönen Stimme scharfsichtig verbittert die Gewohnheiten der boheme-bourgeoisen Oberschicht analysiert.

Nach einer Woche kann die aufmerksame Beobachterin die Festivalbesucher leicht in drei Grundtypen einteilen. Da gibt es den ehrgeizigen Typus des erfolgreichen Journalisten, der die hohe Schule der Text-Mehrfachverwertung beherrscht. Er weiß schon alles, hat alles gelesen, kennt die Meinung der Feuilletons plus den neuesten Klatsch, darf sich in seiner ironisch-überheblichen Attitüde für nichts begeistern, muss aber immer noch schnell irgendwo was hinmailen. Dieser Typ nimmt leichte Pastagerichte im „Billy Wilder’s“ oder „Max“ zu sich.

Der Forum-Nerd ist diesem Typus diametral entgegengesetzt. Er ist der Indierocker des Festivals. Mit verächtlichem Gesichtsausdruck verkündet er „Wettbewerbsfilme schaue ich mir grundsätzlich nicht an“ und schwärmt von dreistündigen Dokumentarfilmen über revolutionäre Bewegungen in einem bis dato nie abgefilmten Landstrich Südamerikas. Ernährungswissenschaftlich gesehen gehört er zur Wurstbrot-Fraktion, sogar das Kaffeetrinken lehnt er eher ab. Typ 3 ist der Ästhet unter den Festivalbesuchern. Er verweigert sich allem Neuen, Aktuellen und besucht grundsätzlich nur die Retrospektive über Frauen im Stummfilm der 30er-Jahre. Er isst nicht, raucht aber und trinkt Kaffee. In diesen Obertypus fallen noch mehrere Untergruppen, der Kunstspießer beispielsweise, der nur zu Andy-Warhol-Filmen ins Arsenal geht.

Deshalb ist es so erfrischend, wenn man abends auf nicht akkreditierte Festivalbesucher trifft – man erkennt sie am Popcorn –, Menschen, die sich Kar- ten gekauft haben und einfach neugierig und vertrauensvoll ins Kino gehen.

CHRISTIANE RÖSINGER