„Serbien wird die Gespräche nicht abbrechen“

Die Kosovo-Beauftrage von Amnesty International, Sian Jones, ist der Ansicht, dass der UN-Plan für die serbische Provinz einige Lücken aufweist. Ziel müsse sein, dass vertriebene Serben in ihre Dörfer zurückkehren können

taz: Frau Jones, nach der Vorlage des Ahtisaari-Plans zum Kosovo – worin besteht jetzt Ihre Arbeit?

Sian Jones: Wir setzen uns gegenüber den beiden Verhandlungspartnern Serbien und Kosovo dafür ein, dass in der Vereinbarung die Minderheitenrechte ausreichend berücksichtigt werden. Im Ahtisaari-Papier gibt es Lücken, so fehlt ein Bezug auf die Konvention für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Vor allem aber gibt es einige Klauseln, die gedruckt gut aussehen, sich aber in der Realität bewähren müssen.

Meinen Sie damit die Sonderrechte für die nördlich von Mitrovica gelegenen serbisch besiedelten Teile des Landes?

Wir sind besorgt, was in Mitrovica passieren wird. Es ist für die UN-Verwaltung unmöglich, dort die Ordnung zu garantieren. Die Menschen dort wenden sich eher an die Polizei in Serbien als an Unmig, wenn sie ein Verbrechen melden wollen. Das Kosovo soll ja nicht geteilt werden. Im serbisch besiedelten Norden gibt es eine albanische Minderheit. Wir wollen keine Vertreibungen. Im Gegenteil: Vertriebene sollen in ihre Dörfer zurückkehren können. Mehrere tausend kosovarische Serben leben derzeit als Vertriebene in Serbien.

Also sind Sie gegen das Konzept einer „Enklave“ im Norden?

Die Menschenrechte sind unteilbar. Sie sollten für Albaner gelten, für Serben, Roma, Ägypter, Aschkali, Burani, Türken, Bosniaken – für alle Menschen, die im Kosovo leben.

Wie werden derzeit im Kosovo Menschenrechte verletzt?

Unser Hauptproblem sind ungeahndete Kriegsverbrechen, Verschleppungen, Entführungen – auf beiden Seiten. Die Familien wissen nicht, wo ihre Verwandten geblieben sind, die Verbrechen werden nicht gesühnt. Das Justizsystem funktioniert nicht. Manche Angeklagten sitzen zwei Jahre in Untersuchungshaft, ohne dass ein Verfahren eröffnet wird. Ein großes Problem ist auch die häusliche Gewalt und Menschenhandel. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, deren Kinder nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, die keine Arbeit finden. Es gibt Rückkehrer, die kein Dach über dem Kopf haben, weil ihre Häuser nicht wieder aufgebaut werden.

Vorgestern hat das neue serbische Parlament zum ersten Mal getagt. Was bedeuten die neuen Mehrheiten für den Kosovo?

Ich glaube, selbst wenn die Serben bestimmte Teile des Ahtisaari-Plans ablehnen, werden sie nicht den Verhandlungsprozess abbrechen. Das macht mir Hoffnung.

Am 21. Februar hat Ahtisaari zu einer letzten Schlichtung nach Wien eingeladen. Das befürworten Sie?

Aber ganz sicher. Es muss weiter geredet werden, um die beiden Seiten näher zusammenzubringen. Serben und Kosovaren ziehen ja völlig unterschiedliche Schlüsse aus dem Text.

Die EU-Außenminister unterstützen den Ahtisaari-Plan, haben zugleich jedoch Serbien ein neues Angebot für ein Partnerschaftsabkommen gemacht. Ist das der richtige Weg?

Man muss die beiden Dinge getrennt sehen. Der Druck auf Serbien, mit dem Tribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten, hat Wirkung gezeigt. Vorletztes Jahr wurden zwölf Verdächtige überstellt. Dieses Jahr wurde ein Abkommen unterzeichnet, die Archive der Armee für das Tribunal zu öffnen. Zehn Menschen wurden angeklagt, weil sie dem Kriegsherrn Mladić Unterschlupf gewährt haben sollen. Aber Mladić wurde bislang nicht überstellt. Das muss passieren, bevor das Tribunal seine Arbeit einstellt. Sonst würden die Menschen in Bosnien das Gefühl haben, ihnen sei keine Gerechtigkeit widerfahren. INTERVIEW:
DANIELA WEINGÄRTNER