Jedem seine Identifikationsoption

Das diesjährige „Teddy“-Programm machte wie nie zuvor deutlich, dass sich schwul-lesbische Ästhetik kaum mehr von einer angeblich straighten unterscheiden lässt. Und Dokus über Anti-Gay-Demos in Moskau müssen nicht automatisch spannend sein

VON DETLEF KUHLBRODT

Mein neues Wort heißt „LGBT“ und ist die Abkürzung für „Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender“, bezeichnet also vier nicht straighte sexuelle Orientierungen, die früher noch griffiger, wenn auch ungenauer unter „homosexuell“ liefen. Die Abkürzung, die Böswillige auch als angloamerikanische Deutungshoheitsanmaßung lesen können, hat den Vorteil, Zeichen zu sparen, wenn man über die 36 Filme schreibt, die in diesem Jahr auf der Berlinale zum 21. Mal um den queeren Teddy-Preis des Festivals konkurrierten. Der „Teddy“ ist die einzige Auszeichnung für queere Filme, die auf einem großen internationalen, nicht explizit homosexuellen Filmfestival verliehen wird. Dabei fällt mir grade ein, dass es sich bei der Heterosexualität eigentlich auch nicht um eine, sondern um zwei unterschiedliche Orientierungen handelt. Deshalb hat das Heterosexuelle oft etwas geheimnisvoll Beängstigendes.

Egal. Um auf die in vielen Ländern schwierige Menschenrechtslage für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender-Menschen (LGBT) aufmerksam zu machen, kooperierte der Teddy in diesem Jahr erstmals mit der Gruppe „Menschenrechte und sexuelle Identität“ (Mersi) von amnesty international.

Die Vorstellungen der einzelnen Filme waren meist so hoffnungslos überfüllt, dass man auch mit Akkreditierung gut daran tat, sich eine halbe Stunde vor Einlass anzustellen. Lange Zeit wurde noch, irgendwie auch mit Recht, von einer spezifisch schwul-lesbischen Ästhetik gesprochen. In diesem Jahr hatte ich den Eindruck, dass sich viele der LGBT-Filme im Grunde genommen nicht von den Filmen unterschieden, die angeblich straight sind, und dass es bei vielen Filmen nicht wesentlich war, dass einzelne Protagonisten unstraight waren. Dass der Türsteher in dem sehr zwiespältigen norwegischen Thriller „When Darkness Falls“ etwa schwul ist, schien eher ein Identifikationsangebot ans schwule Publikum zu sein. Bei einem meiner diesjährigen Lieblingsfilme – „30 Century Man“, Stephen Kijaks Porträt über Scott Walker – wurde an keiner Stelle die sexuelle Orientierung des großartigen Sängers thematisiert.

Dass die sexuelle Orientierung also bei vielen Filmen, die unter dem Teddy-Label liefen, völlig nebensächlich schien, dass sich so etwas wie schwule Ästhetik eher bei Altmeistern wie John Waters fand oder in der hinreißend durchgeknallten koreanischen Teenagerkomödie „Dasepo Naughty Girls“ von E J-Yong, könnte man als Zeichen gelungener Emanzipation zumindest in westlichen Ländern deuten. Man mag es belächeln, aber es ist auch ein Ausdruck dieser Emanzipation, dass es in Norwegen sogar einen Verband schwuler Bergsteiger gibt. Woanders sieht’s bekanntlich ganz anders aus. Ein Hauptanliegen von LGBT-Filmen ist es, der Diskriminierung entgegenzutreten; ein anderes, denjenigen Vereinzelten, die sich ihrer abweichenden Sexualität schämen, die Hand zu reichen: Du bist nicht allein. Deshalb gibt es LGBT- und CSD-Umzüge.

Einer der Filme, die sich diesem Anliegen verschrieben hatten – „Moskva Pride ’06“ von Wladimir Iwanow –, enttäuschte auf exemplarische Weise. Der Film erzählt von der ersten „Gay-Pride-Parade“ in Moskau, die bekanntlich in Krawallen endete. Die Demo war verboten worden; zahlreiche Gruppen, Nationalisten, Rechtsradikale, die russisch-orthodoxe Kirche, hatten gegen die Parade mit Slogans wie „Schwule raus aus Moskau“, „Moskau ist nicht Sodom“ u. Ä. mobil gemacht. In der Überzeugung, das Verbot widerspreche geltenden Gesetzen, wurde die Parade dennoch durchgeführt. Das Bild mit dem blutig geschlagenen Grünen-Abgeordneten Volker Beck, der die Demo unterstützt hatte, ging um die Welt. Der Demo vorausgegangen war eine Konferenz über Homosexualität, die – begleitet von großem Medieninteresse – in einem Hotel stattgefunden hatte. Mehr als die Hälfte des Films, der unter Polizeischutz gezeigt wurde, besteht nun aus ins Mikrofon gesprochenen Solidaritätsbekundungen der eingeladenen Vertreter schwul-lesbischer Organisationen aus dem Westen, aus endlosen Debatten über eine zu verfassende Abschlusserklärung, aus Berichten, Referaten der Eingeladenen über die Geschichte ihrer ehrenhaften Kämpfe für die institutionalisierte Sichtbarkeit ihrer Gemeinschaft.

Ständig wird das Gleiche wiederholt, und irgendwann kann man dieses Wort „LGBT“ nicht mehr hören, überlegt sich genervt, wie das ein „normaler“ Russe sehen würde, jemand, dem Schwule und Lesben vielleicht ein bisschen unheimlich sind, ohne dass er nun homophob wäre. In einem Ohr hat er die Zitate junger Nationalisten, alter Großmütter, die bibeltreu gegen die Moskauer Homosexuellenparade demonstrieren und dabei vom sterbenden (schwulen) Europa und dem dekadenten Amerika sprechen. Und mit seinen Augen sieht er einen Film, von dem er sich irgendwie Aufschluss erhoffte, in dem fast nur, so kommt es ihm vor, Politiker und Verbandsfunktionäre aus dem Westen in einem Hotel, zu dem er nie Zutritt haben wird, in komischen Begriffen (LGBT) und Formeln, die sein Herz nicht berühren können, Irrwege des Herzens (wie er denkt) und Dinge, die er selber nicht so genau benennen mag, hochhalten.

Mögen russische Schwule und Lesben durch den Film vielleicht auch ermutigt werden, gibt er doch denen eigentlich recht, die ein Begehren, das nicht straight ist, für einen dekadenten Westimport halten und für die die Ankündigung von Elton John und den Scissor Sisters, bei „Moskva Pride ’07“ aufzutreten, eher wie eine Drohung wirkt.

Viel sachdienlicher scheinen mir Emanzipationsfilme wie etwa der israelische „The Bubble“ von Eytan Fox zu sein, der eine schwule Liebesgeschichte zwischen einem Israeli und einem Palästinenser erzählt, oder humorvolle Geschichten wie in dem koreanische Film „Like a Virgin“, der von einem pummligen Teenager handelt, der einen Wrestlingwettbewerb gewinnen will, um sich mit dem Preisgeld geschlechtsumwandeln zu lassen. Mein LGBT-Lieblingszitat fiel in dem vielumjubelten Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“, der von den Besuchern des berühmten Kreuzberger Prinzenbads erzählt. Ein 15-jähriges Mädchen sagt da: „Wenn ich erwachsen bin, werde ich bisexuell und kauf niemals im Bioladen.“