Fenster zur anderen Welt

Gael García Bernal gilt als das Gesicht des neuen mexikanischen politischen Kinos. Heute wird er als Mitglied der Berlinale-Jury über den Goldenen Bären entscheiden. Welchen Anspruch hat er an Kino?

VON SUSANNE LANG

Einen kurzen Augenaufschlag lang schwebt sie wieder im Raum. Schenkt ihrem Publikum auf den Rängen ein Blinzeln. Deutet die Verführung an. Dann blendet Gael García Bernal seine Femme fatale, die er in „Schlechte Erziehung“ spielte, mit einem glucksenden Lachen wieder aus. Die Herzen der NachwuchsfilmerInnen, die ihm zuhören, hat Bernal schon längst gewonnen. Auch ohne Femme fatale, die immer noch abrufbar ist, von einem Moment zum nächsten, auch ohne Frauenkleider: die skrupellose Schönheit, der Transvestit.

Sie ist ein Gesicht des García Bernal, eine Erfolgsrolle und eine der zahlreichen Grenzüberschreitungen, die den 28-Jährigen zu einem international gefragten Schauspieler avancieren ließen. Deshalb hat ihn Dieter Kosslick in die Jury der diesjährigen Berlinale geholt, eines Festivals, das nicht müde wird, seinen politischen Anspruch aus den Zeiten des Kalten Kriegs und der geteilten Mauerstadt zu betonen. Und deshalb führt Bernal dieses Gespräch über Grenzen und ihre Überwindung – eine Veranstaltung im Rahmen des Berlinale-„Talent Campus“.

Aktuell durchbricht Bernal im Kino eine der brisantesten Grenzen, die mit 3.141 Kilometern Länge zwei Kontinente und zwei Welten trennt: Mexiko und die USA. Auch im Film „Babel“ geschieht dies innerhalb eines kurzen Moments. Kein Augenaufschlag, sondern ein Fußtritt ist es diesmal, der das Gaspedal des Wagens durchdrückt, der die Angst vor den US-amerikanischen Grenzbeamten obsiegen lässt. In „Babel“ scheitert Bernal als mexikanischstämmiger US-Bürger an jener Grenze. „Bei den Dreharbeiten zu ‚Babel‘, am Strand in Mexiko, konnten wir die USA sehen, durch die Löcher, die überall im Zaun sind“, erzählt Bernal. Von US-Seite aus gelange man gar nicht erst an den Zaun, Mexiko sei unsichtbar. „Kein Wunder“, findet Bernal, „dass sich Mexikaner als Ausgeschlossene fühlen. Grenzen machen wieder Angst.“ Zwischen Mexiko und den USA liege kulturell keine große Distanz, „aber sie sind nicht in der Lage, ihr Territorium zu teilen“, sagt Bernal.

Kein Wunder also auch, dass nicht nur das mexikanische Kino in den vergangenen Jahren mit Vehemenz diese Grenze auf der Leinwand sichtbar macht – auch auf der anderen Seite des mittlerweile errichteten Grenzzauns, in den USA. Einer dieser Versuche, eine US-Produktion, war auch im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale zu sehen: „Bordertown“, ein Thriller über mexikanische Arbeiterinnen, die in amerikanischen Firmen an der Grenze angeheuert haben und mysteriösen Morden zum Opfer fallen. Inwieweit aber trägt Kino dazu bei, Grenzen in der realen politischen, globalisierten Welt zu überwinden?

Diese Frage liegt nahe, und Bernal lässt sie sich – im Gegensatz zu manch anderen Filmemachern dieser Berlinale – auch gerne stellen. „Generell denke ich, dass es in der heutigen Welt wesentlicher wird, andere zu verstehen.“ Welchen Anteil an diesem interkulturellen Verstehen das Kino habe, erklärt Bernal am Beispiel einer Filmstudentin aus Rio. Sie habe einmal ihre Motivation, Filme zu drehen, emotional begründet: Filme rückten Menschen, die anfangs weit entfernt waren, denen Zuschauer mit großer Distanz gegenüberstanden, ganz nahe heran.

Verstehen über Identifikation. Grenzüberschreitung durch Empathie. Das Gegenteil von Kopf- und Botschaftskino, wie es Bernal auch in der Rolle des Ernesto „El Che“ Guevara in „Die Reise des jungen Che“ vorgeführt hat. Sie sei eine der beiden Rollen, die er bisher als seine wichtigsten bezeichnet. „Sie hat mein Leben verändert“, erzählt er, „sie hat mich mit einer Art von Weltsicht konfrontiert, der man nicht mehr entkommen kann.“ Gerade weil es nicht die Politik als solche oder Ideologien seien, die ihn zum Kino trieben. „Ich suche meine Rollen nach emotionaler Affinität aus“, betont Bernal.

Manchmal jedoch prallt auch bei einem Schauspieler wie Bernal die reale politische Welt auf seinen Anspruch als Künstler. 2003, drei Tage nachdem die USA die ersten Bombenangriffe in Bagdad fliegen ließen, wurden in Los Angeles die 75. Oscar-Awards verliehen. Auch Bernal war eingeladen. Nach seinem großen Erfolg als Kampfhundbesitzer in „Amores Perros“ sollte er eine Laudatio halten – unter einer Bedingung, die die Organisatoren im Vorfeld ausgegeben hatten: Laudatoren sollten sich mit politischen Äußerungen zurückhalten. „Ich war sehr nervös“, erinnert sich Bernal – „selbst fünf schnell getrunkene Champagner haben mich nicht beruhigt.“

Er lacht, und meint es trotzdem ernst, als er sich an seine etwas andere Grenzüberschreitung erinnert. „Einerseits hatte ich zu sagen, was ich sagen musste.“ Andererseits habe er die Show nicht zerstören wollen. Seine Lösung: Er präsentierte den Song „Burn it Blue“ aus dem Film „Frida“ – ein Bekenntnis zum Frieden, im Namen von Frida Kahlo. „Weil sie nicht Träume gemalt hat, sondern Realität.“ In diesem Jahr ist „Babel“ als bester Film für die Oscars nominiert.