: Den Vertrag schon im Gepäck
In den neuen Ländern mangelt es an Ärzten. Ostdeutsche Kliniken gehen deshalb auf Werbefahrt nach Österreich
BERLIN taz ■ Dass Ostdeutsche im reichen Westen arbeiten, ist seit langem so. Doch neuerdings ackern Westler im Osten. Kliniken von Thüringen, Sachsen und Mecklenburg fehlen nämlich knapp 1.000 Ärzte, um die vom neuen Arbeitszeitengesetz vorgeschriebenen Maximalschichten von 24 Stunden einzuhalten. Weil man den Bedarf nur noch mit ausländischen Kräften decken kann, starten die Kliniken im März eine Werbefahrt – nach Österreich.
Weil die drei österreichischen Medizin-Unis einen Ansturm ausländischer Bewerber zu verkraften haben, werden dort jährlich mehr Mediziner ausgebildet, als Arbeitsplätze offen sind. Entscheidender Vorteil für die Deutschen: „Die Sprache stimmt und die Ausbildung ist vergleichbar“, sagt Wolfgang Gagzow von der mecklenburgisch-vorpommerschen Krankenhausgesellschaft.
Gagzow geht daher mit Kollegen aus Thüringen und Sachsen Ende März bereits zum zweiten Mal auf Werbefahrt in die Alpenrepublik, um an den dortigen Medizinerschulen mit Vorträgen und Infoständen die Ost-Kliniken anzupreisen. Dabei locken die Krankenhausvertreter mit freien Arbeitsplätzen und besseren Arbeitsbedingungen als in Österreich: Sieben von zehn Spitälern verstoßen dort gegen das Arbeitszeitgesetz; Mediziner arbeiten bis zu 100 Stunden die Woche, beklagt die österreichische Ärztekammer.
Allerdings ist es in Deutschland nicht lange her, dass die Ärzte aus ähnlichen Gründen auf die Straßen gingen. Diesen Einwand hören auch die Ost-Klinik-Vertreter immer wieder. Doch sie haben ein starkes Argument im Gepäck: unterschriftsreife Verträge. Das kommt an bei arbeitsplatzsuchenden Medizinabsolventen. „Außerdem haben wir haben sehr moderne, gut strukturierte Krankenhäuser. Wir stehen europaweit an der Spitze“, sagt Wolfgang Gagzow, „und unser Sozialministerium kontrolliert die Arbeitszeiten sehr genau.“ Da könne man auch darüber hinwegsehen, dass der Verdienst nicht ganz so hoch ist wie in den Ärzteparadiesen Großbritannien und Schweiz. 100 österreichische Ärzte fanden das auch und arbeiten bereits im Osten.
Vier von ihnen tun in Karlsburg (Mecklenburg-Vorpommern) ihren Dienst. Birgit Pöls- ler begründet, warum sie dort seit August 2006 arbeitet: „Nur in Deutschland gibt es einen echten Mangel an Assistenzärzten“, sagt die angehende Fachärztin für Herzchirurgie. Außerdem kann sie sich die in Österreich übliche Ausbildung zum Allgemeinarzt aufgrund der deutschen Regelung sparen.
Auch das Einleben fiel ihr gar nicht so schwer: „Na, goar net“, antwortet Pölsler auf die Frage, ob sie in dem 1.600-Seelen-Ort einen Kulturschock erlitten habe. Nicht einmal ihr Österreichisch musste die junge Medizinerin ablegen: „Die Leute sprechen hier keinen Dialekt.“
Birgit Pölsler, der die ostdeutsche Werbeaktion nur den letzten Ruck zur Auswanderung nach Deutschland gab, vermisst ihre Heimat nicht: „Da ist’s auch nicht großstädtischer als in Karlsburg“, sagt die Kärntnerin.
JAN GEORG PLAVEC
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen