berliner szenen Das Alphabet der Stadt

Z wie Zehlendorf

Im Bahnhof Zehlendorf hängt ein unglaublicher Geruch nach Orangen, mitten im Winter. Überhaupt Obststände en masse, bevor sich eine lange Einkaufszone erstreckt. Buchhandlungen, Friseure, ein weiß ausgeleuchtetes Brillenatelier, danach Hauskrankenpflege, Steinofenpizza. Neben dem Heimatmuseum ein Friedhof, mitten in der Bebauung. Wie passend.

Es ist später Nachmittag, Zehlendorf liegt im Dunkeln, die Gegend wird leerer. Es geht die Clayallee hinunter, dann in die Riemeisterstraße. An der Ecke steht ein stattliches Seniorenwohnheim, gegenüber wartet eine alte Kirche, hundert Meter weiter eine zweite, neuere. In den umliegenden herrschaftlichen Häusern im Alpinstil herrscht Platz. Es sind hundertfach mehr erleuchtete Lampen als Menschen zu sehen. Eine Frau raucht an einer Bushalte, eine andere kommandiert ihren Pudel, eine dritte schiebt eine Fenstertür im ersten Stock auf. Es gibt kaum hohe Mauern vor den Häusern, die Schäferhunde sind nach Friedrichshain gezogen, die Überwachungskameras sind beim FAB. Es ist still. Durch die Stille kommt Kirchengeläut. Ein knarrender Rollstuhl mit einem Greis. Ein Bus fährt nachdenklich Richtung Schönow. Dann wieder Autos.

Eine Zoohandlung, ein Hundesalon, eine Siedlung aus den 30er-Jahren. Aus einem der kleineren Häuser kommt eine junge Frau, die stolz vor sich hin sieht. Ein älterer Mann steht im Unterhemd hinter seinem Wohnzimmerfenster, im Fenster hängen zwei Deutschlandfahnen.

Es ist nicht so wie in dem Film mit Daniel Brühl vor zwei Jahren. Kann sein, dass es im Süden Zehlendorfs anders aussieht. Für mich ist es zu spät, ich sehe das weiße U im blauen Rechteck, ich bin an Onkel Toms Hütte gelangt. Das ist das Ende. RENÉ HAMANN