Ex-SS-Mann bleibt frei

Søren Kam soll Mord begangen haben. Deutsche Justiz lehnt dänisches Auslieferungsbegehren ab. Heftige Kritik

STOCKHOLM taz ■ „Ein Mörder bleibt ungestraft“, kommentierte die dänische Zeitung Ekstrabladet gestern den Beschluss der deutschen Justiz, den ehemaligen SS-Mann Søren Kam nicht nach Dänemark auszuliefern. „Aktive Modstandsfolk“, eine Vereinigung der ehemaligen Angehörigen des Widerstands gegen die Nazi-Besetzung, bewertet die Entscheidung als „Provokation“ und spricht von „Heuchelei“.

Der 85-jährige Søren Kam wird von der dänischen Justiz beschuldigt, im August 1943 zusammen mit zwei anderen SS-Leuten den dänischen Journalisten Carl Clemmensen umgebracht zu haben. Vor einem SS-Gericht in Berlin gab Kam auch kurz nach der Tat zu, fünf der acht Schüsse abgegeben zu haben. Noch bevor er nach Kriegsende zur Rechenschaft gezogen werden konnte, setzte der Däne sich nach Deutschland ab. Hier wurde dem verdienten Soldaten 1956 die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. 1971 stellte die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen der Clemmensen-Hinrichtung ein. Die fadenscheinige Einlassung Kams, er habe „in einem Akt solidarischer Haltung“ mit den anderen SS-Leuten auf den schon tot am Boden liegenden Journalisten einige Schüsse abgegeben, wurde als glaubwürdig akzeptiert.

Obwohl diese Version dem amtlichen Obduktionsbericht widersprach, hielt die bayerische Justiz auch in der Folge eine schützende Hand über Kam und lehnte dänische Auslieferungsbegehren ab. Nach der Einführung eines EU-Haftbefehls machte Kopenhagen vor zwei Jahren einen neuen Anlauf. Dieser Auslieferungsantrag wurde nun vom Oberlandesgericht München mit der Begründung abgelehnt, die Tat sei verjährt.

Mord verjährt nicht. Doch wieder folgte die Justiz Søren Kams Version. Allenfalls habe es sich um Totschlag oder fahrlässige Tötung gehandelt. Einen hinreichenden Tatverdacht für Mord gebe es nicht, da man weder von einer geplanten noch einer politisch motivierten Tat ausgehen könne. Dänische Historiker widersprechen dieser Einschätzung: Die Tat sei Teil einer sorgfältig vorbereiteten „Säuberungsaktion“ gewesen, bei der Todespatrouillen der deutschen Besatzung und ihrer dänischen Handlanger im Herbst 1943 mindestens 125 Menschen brutal ermordeten.

Die EU-Kommission hält sich aus dem Tauziehen um den in Kempten lebenden Ex-SS-Mann heraus. „Wir werden den aktuellen Fall nicht kommentieren“, so ein Sprecher. Grundsätzlich gehörten Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt, sagte der Sprecher von EU-Justizkommissar Franco Frattini. Es sei aber nicht Aufgabe der Kommission, einzelne Entscheidungen der Mitgliedsstaaten zum EU-Haftbefehl zu überprüfen. REINHARD WOLFF