Totale Ausfälle

Bremen tut sich schwer mit dem Umschalten von gehobener Spielkultur auf die einfachen Dinge und wird nach dem 0:2 gegen den HSV zum Krisenklub

AUS BREMEN JAN KAHLCKE

Wer sich nicht auskennt im Norden, hätte die Werder-Darbietung für eine generöse interhanseatische Solidaritätsadresse des Tabellenzweiten an den Letzten halten können. Einfach, weil man sich in all den Jahren an den Nachbarn von der Elbe gewöhnt hat und das Leben irgendwie langweilig wäre, wenn der HSV in der zweiten Liga spielte.

Natürlich ist alles ganz anders. Das Nordderby ist traditionell eines der giftigsten, überfrachtet mit historischen Rivalitäten aus der Hanse-Zeit, die heutzutage auf dem Rasen mit anderen Mitteln ausgefochten werden. Das Derby zu verlieren, tut besonders weh, es zu gewinnen, gibt einen überproportionalen Schub Selbstvertrauen. Und den hätten beide Mannschaften gebrauchen können. Beide schienen zuletzt nach 3:0-Erfolgen auf dem aufsteigenden Ast, suchten nur noch die Bestätigung dafür. Seit Samstag muss man sich bei Werder ernsthafte Sorgen machen, der HSV dagegen kann erstmals durchatmen.

Wie es dazu kam? In der ersten Halbzeit war nichts davon zu ahnen. Angetrieben vom nimmermüden Torsten Frings kombinierten die Bremer gut, wenn auch nicht so unwiderstehlich wie in den besten Zeiten. Es schien nur eine Frage der Zeit, wann das erste Tor für Werder fallen würde. Der HSV tat sich schwer, überhaupt die eigene Hälfte zu verlassen, hielt aus einer massiven Deckung vor allem physisch dagegen. Die Wende brachte für den HSV ein Elfmeter: Van der Vaart trifft eiskalt.

Danach hätte sich der HSV eigentlich zurückziehen können, wie er es die ganze Saison über getan hatte, wenn er in Führung gegangen war. Der neue HSV-Trainer Huub Stevens stand gar unter Verdacht, diese Untugend weiter zu kultivieren, seit er mit dem fleißigen, aber viel zu braven Olic nur eine nominelle Spitze auflaufen lässt. „Träumen Sie ruhig weiter, wir würden nur mit einer Spitze spielen“, sagte er später süffisant. In der Tat hat er Rafael van der Vaart zu einer gar nicht so sehr hängenden Spitze umfunktioniert, wie in der niederländischen Nationalmannschaft. Mit Erfolg.

Angesichts zunehmend verzweifelter Bremer Offensivbemühungen traute sich der HSV die ersten eigenen Angriffe zu. Van der Vaart überlupft sich selbst mit einem akrobatischen Hackentrick und legt den Ball darauf nur knapp am Tor vorbei. Ein Tor von Juan Pablo Sorín das 0:2 wird aber zu Unrecht wegen Abseits nicht gegeben. Kurz vor Schluss ist es doch so weit: Van der Vaart schnappt sich einen Befreiungsschlag, schüttelt den jungen Neueinkauf Peter Niemeyer ab wie einen alten Mantel und trifft durch die Beine von Wiese zum 0:2.

Werder fand an diesem Tag kein Mittel. Die Mannschaft kann nicht umschalten von der gehobenen Spielkultur zu den einfachen Dingen. Symptomatisch die Szene, in der Diego den Ball mit der Brust annimmt, noch einmal auftropfen und sich dann vor der Nase wegspitzeln lässt. Mit zunehmender Spieldauer häuften sich die Fehlpässe. Und der einstige Parade-Sturm ist mittlerweile ein Totalausfall. Die nicht mehr zu leugnende Werder-Krise ist auch eine Klose-Krise. Der Sturmführer ist so eifrig wie wirkungslos, vergab auch am Samstag wieder beste Chancen kläglich. In Bremen wird schon heftig über die Millionenofferten gemunkelt, die ihm im Kopf herumzuspuken scheinen. Vor allem aber fehlt ihm ein starker Partner. Der Schwede Markus Rosenberg bestätigte fürs Erste die Befürchtungen, er sei nur ein Notkauf. Der junge Aaron Hunt schwankt sogar innerhalb eines Spiels zwischen Weltklasse und Kreisklasse. Und Hugo Almeida ist eher für Kick’n’Rush zu haben als für Werders gepflegtes Kombinationsspiel.

Zweimal brandete am Samstag Jubel bei den Werder-Fans auf, als Tore des FSV Mainz 05 auf der Anzeigentafel erschienen. Was die Bremer da noch nicht wissen konnten: Torschützen waren wieder einmal Mohamed Zidan und Leon Andreasen. Die Leitfiguren der Mainzer Aufholjagd waren vor ein paar Wochen noch in Grün-Weiß unterwegs. Werder-Trainer Thomas Schaaf reagierte säuerlich auf die Frage, was er über Zidans Spiel denke: „Gar nichts. Ich beschäftige mich mit dem SV Werder Bremen.“ Kollege Stevens dagegen findet nach zwei Siegen langsam seinen Humor wieder. Auf die Frage nach seinen Geheimnissen, mit denen er den HSV wieder auf Kurs gebracht habe, zuckte er mit den Achseln und sagte: „Dafür heißen sie Geheimnisse, oder?“