Deine Röhre, meine Röhre

Zunächst galt das Videoportal YouTube als Bedrohung für das Fernsehen. Nun entdecken die deutschen Sender langsam, wie sie Online-Plattformen und Amateur-Inhalte für sich nutzen können

VON WILFRIED URBE

Nach den Zeitungen scheint user generated content, also von NutzerInnen selbst produzierter Inhalt, nun auch das Fernsehen aufzumischen. Spätestens seitdem Google das Videoportal YouTube im Herbst vergangenen Jahres für 1,3 Milliarden Dollar übernahm, gilt frei verfügbares Amateurmaterial als größte Herausforderung fürs Profi-TV: „YouTube – das ist Fernsehen für die viel aktivere ‚Post-MTV-Generation‘“, kommentierte etwa die FAZ den YouTube-Milliardendeal. „Es ist schon deshalb der Schrecken der traditionellen Fernsehmacher.“

Auch Tim Renner, Exgeschäftsführer von Universal Music, Betreiber des Internet-Musiksenders „Motor TV“ und Medienvisionär vom Dienst, bläst in dasselbe Horn: „Genauso wie die Musikwirtschaft nicht willens war, ihr Erlösmodel CD über das Internet selbst anzugreifen und deshalb Opfer von Piraten wurde, überlassen die TV-Stationen in der digitalen Kommunikation anderen das Feld.“ In seiner Sicht gibt es die besten Programmausschnitte bei YouTube und nicht auf den Webpages der Sender: „Diese halten in der Regel nicht einmal die letzte Folge der selbst produzierten Soaps bereit. Statt zu experimentieren, wie sich mit einem Programm, welches nicht mehr linear konsumiert wird, Geld verdienen lassen lässt, verschließt man wie dereinst die Musikindustrie die Augen vor einer unbequemen Zukunft, in der ein jeder den Werbeblock überspringt oder ausblendet.“

Tatsächlich sind die deutschen Fernsehsender gerade dabei, user generated content nicht mehr nur als Bedrohung wahrzunehmen. Fast alle Senderchefs haben in ihren obligatorischen Prognosen für das kommende Jahr betont, dass Internet für das Fernsehen immer wichtiger werden wird. Die ersten Schritte sind aber schon gemacht: Die ProSiebenSat.1-Gruppe hat sich am Videoportal Myvideo beteiligt. RTL hat mit Clipfish sein eigenes Forum gegründet. Allein bei Myvideo wurden vergangenen Dezember fast 200 Millionen Videoviews gezählt. Zusätzlich verwurstet Sat.1 in der „Myvideo-Show“ freitags um 23.15 Uhr noch die Video-Ernte der Woche als reguläre TV-Sendung.

Auch die Sprecherin von RTL Interactive Simone Danne ist über den Trend erfreut: „Zurzeit haben wir bei Clipfish 120.000 registrierte Nutzer und täglich werden es mehr.“ Auf dem Portal gab es beispielsweise ein Online-Casting für „Deutschland sucht den Superstar“, aktuell einen Wettbewerb, bei dem Teilnehmer Szenen aus „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ nachspielen müssen. Geld wird noch nicht verdient, aber schon bald sollen gemeinsam mit Werbekunden Modelle entwickelt werden, beispielsweise Musikvideos als kostenpflichtige Downloads.

Öffentlich-rechtliche Sender befinden sich in diesem Bereich noch in der Planungsphase. Beim WDR etwa wird zurzeit an einem Internetportal für die junge Zielgruppe gearbeitet. Dort wird es wahrscheinlich für die Nutzer auch die Möglichkeit geben, eigene audio-visuelle Beiträge einzustellen.

Der Trend hat auch die UFA aktiviert. Eigentlich als „Research-Projekt“ gestartet, hat die Produktionsfirma das Format „Jens-Uwe-Hansen-Show“, eine Art Video-Blog, mittlerweile bereits auf verschiedenen Portalen etabliert. Ausschnitte laufen ebenso auf der „MyVideo-Show“. Jens-Uwe Bornemann von der UFA zum Hintergrund: „Die junge Zielgruppe erreichen wir im Fernsehen immer weniger, die halten sich eher bei Myvideo oder YouTube auf. Und so haben wir ein Format aufgesetzt, das sich an diese Zielgruppe richtet, mit allen Kommunikationstools und Mitgestaltungsmöglichkeiten des Web 2.0.“ Weitere Projekte werden bereits vorbereitet, denn, so Bornemann: „Internet ist für uns ein wichtiges Medium, weil unsere zukünftige Zielgruppe sich jetzt bereits dort vorwiegend aufhält. Daraus können wir Schlüsse für unser Kerngeschäft TV ziehen.“

Die Agentur Bruce Dunlop & Associates (BDA) betreut in England den dort größten Provider von Internet-TV, die British Telecom. Paul Awe von BDA München glaubt nicht, dass „die neuste Generation von Web 2.0“ nun endgültig das Ende des klassischen Fernsehens einläutet: „Das Gegenteil ist der Fall. YouTube, Myspace oder Myvideo sind die besten Marketingplattformen, die sich ein TV-Sender wünschen kann.“ Promotion in Form von Bewegtbild sei bisher nur auf dem eigenen Sender möglich gewesen, wofür die Sender wertvolle On-air-Time hätten abknapsen müssen. „Jetzt geht das Ganze cross-medial und – noch – kostenlos, es geht schnell und es erreicht Millionen in einer Zielgruppe von 19 bis 49 Jahre, die nicht nur für werbefinanzierte Sender äußerst interessant ist.“ Awe verweist auf CBS: „Dort wurde mit einfachen Ausschnitten der David Letterman Show auf YouTube die Quote um sieben Prozent gesteigert.“

Vollkommen ungeklärt ist allerdings noch die Rechtefrage: In den USA geht das Filmstudio Twentieth Century Fox zurzeit gegen YouTube vor, um die Identität eines Nutzers zu erfahren, der Folgen der Fernsehserien „24“ und „The Simpsons“ eingestellt hatte. Und der US-Medienkonzern Viacom hat YouTube unlängst aufgefordert, mehr als 100.000 Videoclips aus sendereigenen Formaten aus seinem Angebot zu entfernen.