: Immer auf dem Sprung
Lässige Körperbewegung gegen gesellschaftliche Steifheit: Mit der Politik der Pose zwischen Mode, Operette, Fotografie und Sport setzte sich das Symposium „Hold it“ am HAU in Berlin auseinander
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Der Sprung scheint eigentlich das Gegenteil der Pose. Wo die Pose für einen Moment die Bewegung stillstellen will, bis repräsentative Bedeutung in das Bild geflossen ist, macht sich der Sprung davon. Er scheint das unhintergehbar Lebendige, der Künstlichkeit der Pose immer um einen Schritt voraus. Und gerade deshalb, um dieser größeren Glaubwürdigkeit willen, gehört er doch ins Repertoire der Pose, zum Beispiel in der Fotografie der Mode oder auch in den von der Kamera bezeugten Siegesmomenten der Sportler. So war der Sprung eines der überraschend oft wiederkehrenden Motive auf dem Symposium „Hold it“, zu dem das Zentrum für Bewegungsforschung am Institut für Theaterwissenschaften der Freien Universität Berlin in das HAU-Theater am Wochenende eingeladen hatte. Den Rahmen bildet ein Tanzfestival des HAU, das sich mit Covern von Identitätsbildern beschäftigt.
Tatsächlich stellte sich das Motiv der Pose als ein außerordentlich bewegliches Gelenk heraus, um verschiedene Felder von Inszenierung miteinander zu verknüpfen. Die Pose will gelesen werden: In ihr werden politische Macht und ökonomischer Erfolg in eine Sprache des Körpers übersetzt. Die stillgestellte Bewegung ist die Zäsur, die das Einfügen des Bildes in eine symbolische Ordnung ermöglicht. Filmausschnitte, viele abfotografierte Seiten aus Sport- und Modemagazinen und einige Zeichnungen aus der Zeit vor der Fotografie, als lebende Bilder zur gebildeten Abendunterhaltung gehörten, sorgten für hohe Anschaulichkeit.
Vom Luftzug, der den Fall des Stoffs verändert, vom Rennen gegen den Wind und von vielen Sprüngen, mit denen sie sich voller Ausdruckswillen und expressiver Darstellungslust gegen die steif gewordenen Konventionen des Posierens in den Fünfzigerjahren wandte, erzählte Vera von Lehndorf, die als Veruschka in das Modeln eine neue Form performativer Aufführungen hineingetragen hatte. Die Zeit für das Make-up nicht eingerechnet hätte sie oft vier Stunden und mehr mit dem Fotografen Richard Avedon an jenen Bildern gearbeitet, die dann so sehr Ausdruck von nicht berechenbarer Lebenslust erschienen.
Das war aber nicht der erste Sprung, der der Mode zu einem neuen Ansehen verhalf, wie die Kunsthistorikerin Susanne Holschbach darstellen konnte. Von dem ungarischen Fotografen Martin Munkácsi, der in den Dreißigerjahren in New York für Harpers Bazar Modelle den Strand entlangrennen ließ, über Helmut Newton, der Twiggy und eine Katze gleich serienweise in die Luft jagte, bis zu einer Campagne von H & M aus dem letzten Jahr, die den Models selbst da den Boden entzog und sie im Unwirklichen schweben ließ, wo die Bewegung des Sprungs gar nicht vorkam, schlug sie einen Bogen.
Munkácsi war, bevor er in New York zur Mode kam, in Berlin begeisterter Zeuge eine neuen Körperkultur gewesen, die das Leben mit einer sportlichen Elle zu messen schien. Um diese frühe Zeit der Moderne drehten sich auch zwei Vorträge, die um Inszenierungen zweier Frauen kreisten, um den Berliner Operettenstar Fritzi Massary und Leni Riefenstahl. Für beide spielte die Begeisterung für das neue Tempo und der souveräne Umgang mit Technik eine Rolle. Dennoch ist kein größerer Gegensatz denkbar wie zwischen dem frivolen Star der Weimarer Republik und der Mythenbildnerin der Nationalsozialisten.
Fritzi Massary, von der Münchner Literaturwissenschaftlerin Ethel Matala de Mazza mit ihren Chansons, den Operettenlibretti und in ihren kleinen spitzen Gesten vorgestellt, war das stete Offenhalten eines Spielraums wichtig. Ihre Chansons „O-la-la“ und „Nebenbei“ beschreiben Bewegungen des Ausweichens, des So-oder-so-Deutens, des Kleinhaltens und Herunterspielens, um darin einen geschützten Raum für eigenwillige Entscheidungen, die natürlich immer die Liebe betreffen, zu erhalten – eine Pose, die das Eindeutige der Pose unterläuft. Das ist ebenso komisch wie kokett, voller Klischees und doch auch voller Selbstbehauptung. Vor allem aber sehr frei von jenen großen Gesten des Sinnstiftens und der Verklärung, mit denen Leni Riefenstahl sich der Antike nähert und sie aus dem Geist der rhythmischen Gymnastik wiederbelebt.
Mit der Heroisierung des Körpers beschäftigte sich auch der amerikanische Sportwissenschaftler John Hoberman von der Universität Texas, und zwar in den Bildern von schwarzen Sportlern, die vor allem von der Werbeindustrie genutzt werden. Den Sportlern selbst, beklagte er, fehle heute jedes Bewusstsein für die Geschichte der Pose, die Ausbeutung über das Bild, die fortgesetzte Arbeit mit rassistischen Klischees. Wehmütig dachte er an die Zeit zurück, als Muhammad Ali die Begeisterung für seine Siege in politisierte Zeichen einer afroamerikanischen Bewegung der Befreiung umzumünzen wusste.
Heute dagegen macht ein schwarzer Läufer Werbung für McDonald’s – jeden, der seine Chicken Wings klaut, wird er mit siegesgewisser Schnelligkeit verfolgen; und keine einzige Stimme regt sich darüber auf oder merkt es auch nur an, wie hier das alte Klischee des schwarzen Hühnerdiebs zwar umgedreht, aber immer noch benutzt wird. Bilder vom bösen schwarzen Jungen verkaufen sich noch immer gut, Bilder vom guten schwarzen Jungen entstehen daneben wie ein Ausweis der Domestizierung. Eine Auseinandersetzung mit dem, was an historischen Ressentiments im einen wie im anderen fortlebt, aber findet, so Hoberman, nicht statt.
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