streit über israel
: Jews vs. Jews

War es das Papier der beiden Harvard-Politologen Stephen Walt und John Mearsheimer, in denen diese die außenpolitische Fixierung der USA auf Israel in Frage stellten und das Wort von der „Israel-Lobby“ prägten? War es das Buch des Expräsidenten Jimmy Carter, der die israelische Politik gegenüber den Palästinensern in den besetzten Gebieten mit dem Apartheidregime in Südafrika verglich? Oder war es die Kontroverse um den Historiker Tony Judt? Im Oktober hatten proisraelische Protestgruppen versucht, seinen Vortrag im polnischen Konsulat von New York zu verhindern. Seitdem schlagen insbesondere in jüdischen Kreisen in den USA und Großbritannien die Wogen hoch.

Auf der einen Seite stehen jüdische Intellektuelle, die für ihre israelkritischen Positionen bekannt sind. Auf der anderen Seite stehen proisraelische Pressure Groups, für die solche Kritik schnell unter Antisemitismusverdacht fällt. Gegenüber jüdischen Israel-Kritikern sind sie sehr freigiebig damit, ihnen „jüdischen Selbsthass“ zu attestieren und den Vorwurf zu machen, sie würden dem Antisemitismus Vorschub leisten.

Für einen vorläufigen Tiefpunkt der Debatte sorgte kürzlich das American Jewish Committee (AJC), der wichtigste jüdische Interessenverband in den USA. Auf seiner Webseite veröffentlichte es einen Essay, der mit Vehemenz gegen „progressive“ Juden – das Wort wurde in Anführungszeichen gesetzt – zu Felde zog und sie auf eine Stufe mit eingefleischten Israel-Feinden wie Mahmud Ahmadinedschad stellte. Auch Namen wurden genannt: Tony Judt natürlich, aber auch der Dramatiker Tony Kushner oder der Washington-Post-Kolumnist Richard Cohen.

Dass sich in Großbritannien nun 130 jüdische Intellektuelle zusammengetan haben, um sich als „Independent Jewish Voices“ zu artikulieren, muss man als Antwort auf solche Angriffe verstehen. Die Kritik der Unterzeichner, zu denen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der Historiker Eric Hobsbawm, der Literaturnobelpreisträger Harold Pinter, der Regisseur Mike Leigh oder die Designerin Nicole Farhi gehören, zielt nicht nur gegen die israelische Politik. Sie zielt noch mehr gegen die Unterstützung um jeden Preis, auf die sich viele offizielle jüdische Organisationen in ihrer Haltung zu Israel versteift haben.

Es gehört zu den Paradoxien eines solchen Unternehmens, dass dabei das eigene „Jüdischsein“ herausgestrichen werden muss, das den meisten Unterzeichnern sonst sicher nicht als wichtigstes Merkmal zur Selbstbeschreibung dienen dürfte. Aber es ist doch die einzige Möglichkeit, dem Alleinvertretungsanspruch des organisierten Berufsjudentums und seiner publizistischen Bannerträger zu begegnen. Denn dieses hat sich in neokonservativen Allianzen verrannt. DANIEL BAX