BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Die Warenwelt und die wahre Welt

Im Osten wurde mir das Blaue vom Himmel versprochen. Im Westen ist es noch schlimmer

Was wurde uns nicht alles versprochen im Osten. Gleiche Rechte für alle, Gewissens- und Glaubensfreiheit, Mitbestimmung, Macht, die von den Werktätigen in Stadt und Land ausgeübt wird und so weiter und so fort. Nach dem Blauen vom sozialistischen Himmel und den blühenden Landschaften dachte ich, dass erst einmal Ruhe im Karton sei. Weit gefehlt.

Seit 17 Jahren vergeht kein Tag, an dem mir nicht irgendetwas versprochen und angepriesen wird. Rund um die Uhr werden sie mir aus Regalen, Kaufhauslautsprechern, Radioapparaten und Fernsehgeräten entgegengeschleudert, die vollmundigen Verheißungen der Warenwelt.

Es fängt schon morgens an, bevor ich aus dem Haus gehe. Entweder mit Slipeinlagen, die mir „mehr Selbstsicherheit“ geben, oder mit Tampons, die „ein kleines Stück Freiheit mehr“ in Aussicht stellen. Die Papiertaschentücher, mit denen ich mein Näschen putze, sagen „Mit dir fühl ich mich stark“. Die Schuhcreme, die ich auftrage, ist ein Lederpflegemittel, das „hochwertige Schuhpflege mit höchster Convenience verbindet“. Die Berliner Verkehrsbetriebe locken mit „Täglich 18 Mal um die Erde. Und manchmal bis in den 7. Himmel.“ Quatsch mit Sauce wie die Sparkasse und ihr „grenzenloser Zahlungskomfort“.

Es ist wirklich zum Piepen. Eis ist nicht einfach eine Süßspeise, sondern nennt sich „Erste Liebe“ und verspricht einen „Genuss so süß wie ein Kuss“. Mit Rumschokolade kann ich angeblich sogar „einen Kurztrip in die Karibik“ machen. Bier ist nicht einfach ein Getränk aus Wasser, Malz und Hopfen, sondern „souverän, selbstbewusst und weltoffen“ und überall dort zu finden, „wo es spannend wird“. Mit Buttermilch, so heißt es, kann ich mich „schön trinken“. Sollte das nicht klappen, bleibt der Trinkjoghurt, ein „Gipfel köstlicher Genüsse“, der mir einen „Erfrischungskick“ verpasst.

Und erst die Leichtigkeit im Haushalt! Da gibt es ein Waschmittel, das „Waschen zum Vergnügen macht“ und ein Spülmittel, das „für gute Laune in der Küche sorgt“. Ein Limetten-Spülmittel gar „stillt das Fernweh mit einer Reise in die Welt der Zitrusdüfte“ und „bringt die Frische von Caipirinha ins Spülbecken“.

Da möchte ich am liebsten nur noch abtauchen. Doch auch das ist keine wirkliche Rettung. Der Badezusatz mit Zitronenöl maßt sich die „Leichtigkeit eines südlichen Sommertages“ an. Ein Edeltannen-Erholungsbad will helfen, „die Gedanken zu sortieren“ und „ruhig und klar zu werden“. Irgendwann ist mir so schwindelig geworden von all den Verheißungen, dass ich die „Klare Gemüsebrühe“ aus dem Kühlschrank nahm und meinte „Klare Genussbrühe“ zu lesen.

Es gibt nur wenige Versprechen, deren Wahrheitsgehalt ich bestätigen kann. Kondome zum Beispiel. Sie bieten in der Tat „ein Höchstmaß an Vertrauen, Gefühl und Sicherheit“ und sind wirklich „der ideale Begleiter für aufregende Liebesspiele“. Wenn der Typ danach verspricht, anzurufen und es nicht tut, ist das nicht so schlimm. Ich habe ja meine Körpercreme, die nicht nur meiner Haut gibt, was sie braucht, sondern ein „Begleiter für Freizeit, Sport oder auf Reisen“ ist.

Ich habe diese Spielchen natürlich längst durchschaut. Trotzdem tappe ich immer mal wieder in die Falle. Vor zwei Wochen bin ich auf einen Unterwäschehersteller reingefallen. Ich habe mir einen Body gekauft, einen dieser eng anliegenden Einteiler. Ein Body, der „perfekt in jeder Lebenslage sitzt“ und „jede Bewegung mitmacht“. Tatsächlich hat er jede Bewegung mitgemacht. Nur leider auch die drei Druckknöpfe im Schritt.

Stand ich in der U-Bahn auf, machte es klick, klick, klick und ich hatte das Gefühl, im öffentlichen Nahverkehr nackt dazustehen. Auf der nächsten Toilette machte ich klick, klick, klick die geheime Verschlusssache wieder zu. Als ich am Abend mit einem jungen Mann im Kino „Chanson d’amour“ sah und Gérard Depardieu unwiderstehlich sang „Pour un flirt avec toi“, machte es wieder klick, klick, klick im Schritt. Da wusste ich endgültig: Die Warenwelt wird niemals das halten können, was die wahre Welt verspricht.

Klick, klick, klick? kolumne@taz.de Morgen: Dieter Baumann über LAUFEN