Die Jeanne d’Arc der Union

Nur einer siebenfachen Mutter kann es gelingen, die Republik vom konservativen Frauen- und Familienbild zu befreien

VON CHRISTIAN FÜLLER
UND HEIDE OESTREICH

Die Familienministerin betritt den Konferenzraum. Die RedakteurInnen warten bereits. Es ist immer ein spannender Moment, wenn die Macht zu denen kommt, die sie kontrollieren sollen. Die Journaille fühlt sich einerseits geehrt, wenn ein Minister auf Besuch ist. Andererseits will man nicht zu viel Nähe entstehen lassen.

Als aber Ursula von der Leyen in München am 8. Februar die Redaktionsräume der Süddeutschen Zeitung betritt, erhält sie spontanen Applaus. Applaus dafür, so berichten es Kollegen, dass sie zuvor in einem Stern-Interview so prachtvoll Paroli geboten hatte, als sie teilweise rüde befragt wurde. Nun begrüßen die Mitarbeiter des größten, manche sagen: wichtigsten deutschen Blattes ein Kabinettsmitglied mit Beifall – ein Phänomen.

Wer ist diese Frau, die das zustande bringt? Und was schafft sie nicht noch alles, die Ärztin, die Tochter des erzkonservativen ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht? Ursula von der Leyen, 48, elektrisiert nicht allein die Presse, ihre Partei und die des Koalitionspartners gleich mit, sie ist gerade im Alleingang dabei, das rückständige Frauen- und Familienbild der deutschen Konservativen zu revolutionieren. Ausgerechnet sie, die siebenfache Mutter. Gerade sie.

Es ist ein bestimmter Klingelton. „Mein Familienhandy“, unterbricht von der Leyen entschuldigend das Geplauder. Ihr Sohn Egmont ist gerade aus der Schule zurück und muss kurz erzählen, was da los war. Hier Amt, da Familie, Ursula von der Leyen ist die personifizierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ja, sie hat eine Haushälterin und ein Kindermädchen, aber sie hat auch etwas, was vielen Deutschen dieser Tage ganz offenbar abgeht: Vertrauen darein, dass Kinder auch bei anderen Personen gut aufgehoben sind.

Und sie ist eine gute Politikerin, jedenfalls was die mediale Resonanz und den Quälfaktor des Regierungspartner angeht. Mit dem Interview, das sie nach der Redaktionskonferenz der SZ gibt, beherrscht sie zwei Wochen die Debatte – obwohl sie gar nichts wahnsinnig Spektakuläres getan hatte. Sie hatte lediglich verkündet, was CDU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart hatten: Sie wolle 500.000 Plätze zusätzlich für Kleinkinder in Tageseinrichtungen, sagte sie und forderte dafür 3 Milliarden Euro. „Neue Wege sind nie einfach“, meint sie unbekümmert, „man fängt immer mit wenigen Mitstreitern an.“ Am selben Tag begann der Streit.

„Schon wieder ein Angriff der Familienministerin gegen Familien“, schäumt das Familiennetzwerk. „Wir sollten nicht die DDR wiederauferstehen lassen“, mahnt von der Leyens Parteifreund Steffen Flath, Kultusminister in Sachsen. Und im Berliner Willy-Brandt-Haus, wo die SPD vergebens einen eigenen Kita-Coup vorbereitete, werden hektisch Erklärungen gezimmert: Unterstützung ja, aber: „Wer hier seriöse Politik machen will, muss sagen, woher die Mittel kommen sollen.“

An Aufmerksamkeit mangelt es ihr nicht, auch nicht in der eigenen Partei. Was von der Leyen verkündet, mag für den Koalitionspartner eine bare Selbstverständlichkeit sein, für die Union sind es rote Tücher: Die Ministerin will nicht nur mehr Kitaplätze für unter Dreijährige, sie will auch das Ehegattensplitting verändern. Dieses Steuersparmodell für die Traditionsehe des „Er verdient viel, Sie bleibt zu Hause“ ist ein ideologisches Rückgrat der CDU. Als die rot-grünen Vorgänger der großen Koalition einst die Steuervorteile für die Alleinverdienerehe diskutierten, ging ein Aufschrei durch die Union.

Auch diesmal brandet in CDU und CSU Kritik auf. In den Ortsverbänden, so wird berichtet, gebe es Gegrummel. Dennoch bleibt es relativ ruhig. Kein Aufstand, nirgends. Einer der üblichen Rabauken haut auf die Pauke. „Sie tut Millionen Männern Unrecht“, erklärt Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Aber der erklärte Preußenfan ist längst ein Mann von gestern. CDU-Generalsekretär Roland Pofalla unterstützt die Familienministerin, als er fröhlich eine Umfrage verkündet, nach der die Union erstmals seit Jahren der SPD in der Familienpolitik den Rang abgelaufen hat. „Wir sind auf dem richtigen Weg.“

Aber es scheint ja nicht nur so, als würde es Ursula von der Leyen gelingen, die Union quasi en passant zu einer modernen Familienpartei zu machen. Mit der Durchsetzung und Reform des Kindergartens gelingt es ihr, das Kernstück einer Betreuungs- und Bildungskonstellation zu verändern, die Frauen seit dem 19. Jahrhundert bindet.

Der Idee nach verwirklichte sich die deutsche Frau als Mutter. Sie kümmerte sich um die frühe Erziehung der Kinder – und blieb zu Hause. Öffentliche Kindergärten brauchte man nur ausnahmsweise, so genannte Bewahranstalten. Weil die Früherziehung der Kinder keine Bildung war, genügte für Kindergärtnerinnen eine Art Wickel-und-Schaukel-Zeugnis, das wiederum lange Zeit eine Art Bildungsideal für die Frau an sich war. Diesen Teufelskreis könnte die Republik mit Ursula von der Leyen jetzt durchbrechen .

Nur den rot-grünen Expazifisten konnte es gelingen, Deutschland in den Krieg zu führen. Nur eine siebenfache Mutter schafft es, das überkommene Mutterbild zu modernisieren.