War da was?

Je mehr der Untersuchungsausschuss aufklärt, desto mehr erhärten sich die Vorwürfe gegen den Außenminister – trotzdem interessiert sich die Öffentlichkeit immer weniger für den Fall Kurnaz

VON LUKAS WALLRAFF

Frank-Walter Steinmeier hat es geschafft. Er wird wieder so betrachtet, wie er sich das wünscht: In den meisten Medien erscheint er als seriöser Staatsmann, kundiger Diplomat und schlauer Schlichter in internationalen Krisen. Ein Außenminister im Dauereinsatz, der seinen Job zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Erledigt scheint auch das Problem, das Steinmeier nur kurzzeitig ins Wanken brachte.

Von seiner eigenen Krise – Stichwort: Murat Kurnaz – ist kaum noch die Rede. Der Fall des früheren Guantánamo-Häftlings aus Bremen wird in immer kürzer werdenden Berichten aus dem Untersuchungsausschuss abgehandelt. Steinmeiers Krise erscheint inzwischen wie eine Episode aus lang vergangenen Zeiten, eine Fußnote im ruhmreichen Lebenslauf des Friedensstifters. Kann sich überhaupt noch jemand daran erinnern, dass Steinmeier in Bedrängnis war? Dass der Außenminister um seinen Job zittern musste? Und weiß noch jemand, worum es dabei eigentlich genau ging?

Ein kurzer Blick zurück: Die Vorwürfe, die Anfang des Jahres gegen Steinmeier erhoben wurden, klangen ungeheuerlich. Steinmeier habe, so hieß es damals, in seiner Zeit als Kanzleramtschef verhindert, dass der gebürtige Bremer Kurnaz, der unschuldig im US-Folterlager einsaß, nach Deutschland zurückkehren konnte. Obwohl die Amerikaner eine Freilassung in Aussicht gestellt hatten, so lautete der Vorwurf, habe Steinmeier nichts für Kurnaz’ Wiederaufnahme in seinem Geburtsland getan, sondern ganz im Gegenteil eine Einreisesperre gegen ihn verhängen lassen.

So weit die damaligen Vorwürfe gegen Steinmeier, die Anfang des Jahres für großes Aufsehen sorgten. Wenn das alles wirklich stimmen sollte, darin waren sich von CDU bis Grünen fast alle einig, wäre das schlimm gewesen. Und heute?

Heute haben wir es mit einem einzigartigen Phänomen zu tun. Je länger die Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss dauert, desto deutlicher werden die Vorwürfe gegen Steinmeier erhärtet – und trotzdem interessiert sich die Öffentlichkeit immer weniger für den Fall Kurnaz.

„Wenn Freilassung, dann nicht nach Deutschland“ – so fasste Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm am Donnerstagabend im Ausschuss die Haltung zusammen, auf die sich Steinmeier und die Chefs der Sicherheitsbehörden 2002 einigten. Auf die Frage, wie die USA auf diese Ansage aus Berlin reagierten, sagte Fromm: „Die Antwort bestand darin, dass Herr Kurnaz nicht freigelassen worden ist.“ So deutlich hatte nicht einmal die Opposition nahe gelegt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Steinmeiers Entscheidungen und Kurnaz’ Verbleib in Guantánamo gab. Als Grund für die rigide Abwehrhaltung der rot-grünen Regierung, die bis 2005 beibehalten wurde, nannte Fromm, es sei „nicht auszuschließen gewesen“, dass Kurnaz gefährlich gewesen sein könnte. „Wir wussten es nicht“, sagte er auf die Frage, ob Kurnaz als Terrorist einzustufen war. Ein klares Eingeständnis: Die Entscheidungsträger samt Steinmeier hatten keinerlei handfeste Belege für Kurnaz’ Gefährlichkeit – und entschieden im Zweifel für die Sicherheit: Tür zu für den Deutschtürken. Doch das sorgt nur noch für Achselzucken.

Steinmeier hat seine komfortable Lage diversen Ablenkungsmanövern zu verdanken. Zum einen seiner Auskunft, es habe „kein offizielles Angebot“ der USA gegeben, Kurnaz freizulassen. Damit behielt er formal Recht – ein Schreiben mit Briefkopf Donald Rumsfelds dürfte es in der Tat nicht gegeben haben. Doch damit übertünchte Steinmeier, worauf es ankam: Es gab, wie Fromm bestätigte, klare Signale aus den USA, Kurnaz könnte freigelassen werden – und es gab darauf eine klare Reaktion Berlins: Zu uns darf er nicht!

Ein Skandal? Nicht mehr. Weil Teil zwei der Verteidigungsstrategie noch mehr Erfolg hatte. Aus dem Opfer Kurnaz wurde mit Hilfe alter Gerüchte ein Islamist – und ein Türke, um den sich die deutsche Regierung eben nicht zu kümmern hatte.