Seepferdchens Flug zum Mond

Wie das Wo mit dem Was zu tun hat: Die Ausstellung „Raum. Orte der Kunst“ in der Akademie der Künste hat konzeptuell ein paar blinde Flecken, aber einige tolle Arbeiten

Ein Bildhauer fotografiert seine Skulpturen. Er experimentiert dabei mit allen Möglichkeiten der Inszenierung und Entwicklung: dem Licht, dem Bildausschnitt, den Chemikalien, den Papieren und dem Abfotografieren der Fotografie. Der Ausdruck in den Gesichtern seiner Wachs- und Bronzeskulpturen löst sich dabei immer mehr ins Ephemere auf – jene Anmutung des Dahinschmelzens, die ihnen eh schon zu Eigen ist, wird noch einmal verstärkt. Interessantes Konzept, denkt man. Umso mehr, als dieser Bildhauer, der Italiener Medardo Rosso, seine Techniken in einem Pariser Atelier von 1894 bis 1910 entwickelte.

Die große Bildstrecke, mit der die Fotografien Rossos in „Raum. Orte der Kunst“ vorgestellt werden, gehört zu den schönen Überraschungen der Ausstellung. Medardo Rosso ist einer der Protagonisten des ersten Ausstellungsteils, der sich mit der Erweiterung des Raumdenkens an der Schwelle zum 20. Jahrhundert befasst, ausgelöst durch Fotografie, Film und die Wissenschaften. Dafür stehen auch die wunderschönen Unterwasserfilme des französischen Biologen Jean Painlevé, für den Sergej Eisenstein ebenso schwärmte wie die Surrealisten. Seine Seepferdchen, Tintenfische und Wasserflöhe, auf der Leinwand zu Menschengröße gewachsen, empfangen den Besucher am Hanseatenweg.

Die Ausstellung „Raum. Orte der Kunst“ erzählt in acht Kapiteln in beiden Häusern der Akademie zwar keine neue Geschichte; jeder der musealen Wege von der Moderne in die Gegenwart hat ja immer auch die Veränderung des Raumdenkens verhandelt, ob mit dem Dadaismus, dem Existenzialismus der Nachkriegszeit oder der Intervention, die in den sozialen und realen Raum eingreifen möchte. Spannend ist die Ausstellung, die von Matthias Flügge, Angela Lammert und Robert Kudielka, allesamt Kunsthistoriker und Mitglieder der Akademie, entwickelt wurde, aber dennoch. Nicht wegen einer neuen Theorie, sondern wegen der Gegenüberstellung von bekannten Positionen und späten Entdeckungen.

Mit großer Evidenz wird so beispielsweise vom „leeren Raum“ erzählt, in dem die Skulpturen von Alberto Giacometti den Filmfiguren von Samuel Beckett und Bruce Nauman begegnen. Die ausgezehrten, langgestreckten Männer und Frauen Giacomettis, 1940 bis 1960 entstanden, scheinen den Druck der sie umgebenden Einsamkeit in ihre angespannte Aufgerichtetheit übernommen zu haben. Becketts Figuren dagegen sind unheimlich: In „Film“ (von 1967) blickt man mit der Kamera stets einem nervös flüchtenden, unglücklich hastenden alten Mann mit Hut (Buster Keaton) über die Schulter, der vor jedem Angesehenwerden flieht.

Ein Ausstellungsstück, das das Atelierthema wieder aufnimmt, ist besonders anrührend: Wie antike Fresken hängen Wandteile aus Giacomettis berühmtem Atelier an der Stellwand. Man weiß, dass diese Wand, die Giocometti als Skizzen- und Notizbuch benutzte und die seine Witwe abnehmen ließ, keine Werke sind, sondern Zeugnis eines verlorenen Ortes. Und dennoch liest man sie wie ein besonders kostbares, gerettetes Gut.

Heute sind viele Auseinandersetzungen der Kunst geprägt von der Spannung zwischen dem sozialen Raum und dem Raum des Marktes. Letzterer gibt als Auftrittsort der Kunst eine Matrix vor, die Interaktion gern einen Riegel vorschiebt. Um diesen Konflikt macht die Ausstellung aber einen Bogen und zeigt lieber eine idealisierte Variante vom Eintritt der Künste in das soziale Feld. Dafür stehen zum Beispiel die Zeichnungen von Mark Lombardi. In „World Finance Corporation, 6th version, 1999“ hat er Forschungsergebnisse in einem Diagramm zusammengetragen, in dem die Geldflüsse die Längengrade einer Weltkugel sind. Als ob der ganz große Zusammenhang jetzt wieder darstellbar geworden wäre.

Je näher die Ausstellung am Pariser Platz der Gegenwart kommt, desto mehr wird sie zu einer Aufzählung: nicht, weil der Raum kein Thema mehr wäre, sondern gerade, weil der Umgang mit ihm zu immer spezielleren Inszenierungsweisen führt.

Hiroshi Sugimoto hat amerikanische Kinosäle fotografiert, die wie eine barocke Guckkastenbühne ausstaffiert sind. Thomas Demand zeigt in großen Tableaus die Apparaturen, die in der Weltraumforschung der Nasa den unendlichen Raum simulieren. Beide, eigentlich sehr realen, Szenarien finden sich ebenso im Kapitel „Der fiktive Raum“ wie Santiago Sierras zugemauerter spanischer Pavillon der Biennale in Venedig 2005.

Der „reale Raum“ dagegen wird verblüffenderweise von minimalistischen Positionen besetzt, die ihn erst von allen Lebensspuren befreien müssen, bevor sie mit ihrer Schule der Wahrnehmung beginnen. Allein, der Streit um die räumliche Zuordnung wird letztlich überflüssig, wenn man sich einfach an die Werke hält, die eine starke Sprache haben. Und davon gibt es in beiden Ausstellungsräumen genug. KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 22. 4., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 & Pariser Platz 4, Di.–So. 11–20 Uhr; www.adk.de/raum