berliner szenen Karaoke zum Geburtstag

Pferde ohne Namen

Eigentlich hatte ich es blöde gefunden, dass S. in dieser Kreuzberger Karaokebar feiern wollte. Als Kind hatte ich mich immer versteckt, wenn ich vorsingen sollte. Später hatte es mich angewidert, wenn die anderen am Ende irgendwelcher Partys plötzlich anfingen, das Moorsoldatenlied, Bob Dylan oder Ton Steine Scherben zu singen, und sich dabei mit feuchten Augen anguckten. Andererseits sollte man sich vielleicht ab einem bestimmten Alter von den Abgrenzungsbestrebungen und Ressentiments früherer Jahre emanzipieren.

„The more you drink, the better you sing“, stand auf einem Schild in der Bar, und man bekam ein Bier extra dazu, wenn man ein anderes bestellte. Die Karaokeseparees waren im Keller. Die Geburtstagsgesellschaft sang gerade was Deutsches, als ich kam. Als das wieder weg war, machte ich unerschrocken mit, weil es doch die Geburtstagsfeier von S. war. Alle suchten sich ihre Lieblingslieder aus zwei großen Katalogen raus, in denen die Lieder standen. Jemand sang ganz allein ein kompliziertes Rap-Stück. In der Aufführung des alten Raverfreundes kriegte Jim Morrisons „The End“ logischerweise etwas Parodistisches. Und „Paranoid“ laut zu singen war super!

Am schönsten waren gut durchrhythmisierte Texte wie „Under Pressure“ oder Superhits mit pathetischen Identitätszeilen („I’m a Two-Penny Prince“) und Endlos-Lalas wie „Hot Love“. Zwischendurch standen wir rauchend vor unserem Separee und sangen „Mrs. Robinson“, das in einem anderen Separee bei offener Tür grade lief. Die schlossen dann die Tür, und als sich bei diesen jungen Leuten eine Sexorgie andeutete, guckten wir schnell weg, gingen beschämt zurück und sangen „A Horse with no Name“. DETLEF KUHLBRODT