Zusammenleben ist komplex. Und das ist gut so

Von der Leyen ist auch deshalb erfolgreich, weil Liberale und Linke keinen positiv formulierten Emanzipationsbegriff haben. Ein Zwischenruf

Bischof Mixas „Gebärmaschinen“-Satz hat etwas Rührendes. Jedenfalls weiß man nun wieder, wo hinten ist in der Familiendebatte. Man hatte sich ja schon gewundert, wie viel „von der Leyen“ die konservativen Milieus unserer Gesellschaft zu tolerieren bereit sind.

Wo aber ist in der Debatte vorne? Das ist und bleibt in den liberalen Milieus die eigentlich interessante Frage. Sollen sich doch die Konservativen mit Mixa herumschlagen und mit der Frage, wie sie ihren milieuinternen Widerstreit zwischen konservativem Familienbild und der heutigen Arbeitsrealität organisieren wollen! Linke und Liberale haben genug eigene Hausaufgaben, die unerledigt herumliegen.

Die wichtigste besteht darin, sich das Wort Emanzipation noch einmal genau und vor allem: ehrlich anzuschauen. Es ist zu einfach, diesen Begriff in der Familiendebatte negativ zu definieren, als Wendung gegen Fremdbestimmung oder gegen überholte Rollenmodelle. Dieser Begriff muss positiv formuliert werden – schließlich kann sich das Leben nicht in einem Dagegensein erschöpfen –, und dann wird es sofort problematisch. Meint Emanzipation Befreiung von der Familie? Oder Befreiung in der Familie? Bei dieser Frage tritt der milieuinterne Widerstreit innerhalb der Linken und Liberalen zutage. Es ist hoch erstaunlich, wie sehr sich Menschen, die sich ansonsten habituell sehr einig sind, bei diesem Thema immer noch in die Haare kriegen können. Die einen begreifen Familie per se als konservativ und jede Debatte darum sowieso als Backlash. Die anderen werten jede Infragestellung ihres alltäglichen Kampfes, ein modernes Familienkuddelmuddel organisiert zu kriegen, als Verweigerung von Anerkennung.

Auch deshalb haben es auch Linke und Liberale immer noch nicht hinbekommen, ein irgendwie realistisch geartetes Bild der Lebenswirklichkeit von Paaren in die Selbstbeschreibungsmechanismen unserer Gesellschaft einzuspeisen. Dieser Punkt hört sich nebensächlich an, er ist aber zentral. Den konservativen Familienidyllen wird in politischen Absichtserklärungen und den Erzeugnissen der Massenmedien im Zweifel das Bild kaputter Familien entgegengestellt. Das hilft, um pädagogische Maßnahmen zu begründen, bringt aber einen Unterstrom von Verdächtigungen in die Debatte hinein. Und es zielt an der Realität vorbei, dass es Paare sind, die Kinder kriegen, wie immer das Zusammenleben des jeweiligen Paares auch organisiert sein mag.

Das Zusammenleben von Paaren ist kompliziert genug. Und es sind in Wahrheit gerade auch diese Komplikationen, die die Geburtenraten in unserer Gesellschaft sinken lassen – jahrelange Auswahl-, Prüfungs- und Testvorgänge sind nötig, bis zwei Menschen den Schritt, Kinder zu kriegen, wagen. Das ist auch gut so. Gerade in solchen komplexen Aushandlungsformen zwischen Selbstbestimmung und Bindungsnotwendigkeiten manifestiert sich heute lebensweltlich gelebte Emanzipation.

Vielleicht sollte man in unseren Kreisen dahinkommen, diese Probleme nicht nur nicht zu verdrängen, sondern geradezu schätzen zu lernen. Vorne in der Debatte wären dann keine strahlenden Emanzipationsdramen, im Grunde sind sie sowieso nur langweiliges Einrennen offener Türen. Vorne wäre vielleicht etwas sehr viel Komplexeres. Für die Familien ein Stolz darauf, den täglichen Kampf aus Beziehungsstress und Emanzipationsfrustration, den das zum Glück nicht mehr an überholten Rollenmodellen orientierte Paarsein ausmacht, trotz allem handhaben zu wollen. Und für alle die Souveränität, die eigene Lebensform nicht zur Norm zu erheben. DIRK KNIPPHALS