„Den Energiemarkt endlich liberalisieren“

Der Potsdamer Klimaforscher Ottmar Edenhofer über die deutschen Fehler beim Zertifikatehandel

taz: Herr Edenhofer, der Preis für Kohlendioxid rauscht seit geraumer Zeit immer weiter in den Keller. Woran liegt das?

Ottmar Edenhofer: Am Staat. Der Emissionshandel könnte ein fantastisches Marktinstrument für den Klimaschutz sein. Dafür müsste der Emissionshandel aber auch marktwirtschaftlich angelegt werden.

Ist er das nicht?

Nein. Würde das Instrument marktkonform sein, würden angesichts der zunehmenden Erkenntnisse über den Klimawandel die Preise ja bestätig steigen.

Wo liegt der Fehler?

Es gibt in der Politik eine Pro-Business-Option und eine Pro-Markt-Option. Die erste Option bedeutet, dass es um Partikularinteressen geht, um einzelne Branchen. Die zweite Option hat zum Ziel, den Markt zu beleben, Wettbewerb zu schaffen. In Deutschland agiert die Politik zumeist im Pro-Business-Modus. Gegen die Interessen des Marktes hat sie beispielsweise die Energiewirtschaft mit so viel Zertifikaten ausgestattet, dass die sich über Kohlendioxid überhaupt keine Gedanken machen muss. Eine richtige Marktwirtschaft ist aber gegen solche Interessen. Wir brauchen ambitionierte Minderungsziele für das Treibhausgas Kohlendioxid. Nur ehrgeizige Ziele können ein Signal an die Investoren sein.

Das Bundesumweltministerium reklamiert für sich, die Absenkung von 499 Millionen Tonnen in der ersten Handelsperiode auf 453 Millionen Tonnen in der zweiten wäre ehrgeizig. Zu Recht?

Die Antwort gibt Ihnen die Börse. Die Industrie hat in ihrer Selbstverpflichtung erklärt, 2010 nur 451 Millionen Tonnen zu brauchen. Ambitioniert wäre also die Vorgabe von 400 gewesen. Zweiter Punkt: Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel plant, die Zertifikate weiterhin zu verschenken. Das zementiert die Strukturen der Stromwirtschaft. Wir brauchen aber endlich eine echte Liberalisierung auf dem Elektrizitätsmarkt. Eine Versteigerung ist hierzu ein wichtiger Schritt.

Die EU hat jahrelang versucht, Wettbewerb auf dem Energiemarkt einzuführen – und ist gescheitert. Daher sollen die Stromkonzerne jetzt ihre Netze abgeben. Zu Recht?

Die Zerschlagung, die EU-Kommissionspräsident Barroso fordert, ist völlig richtig. Alles, was dazu dient, die Strukturen aufzusprengen, hilft, den Energiemarkt endlich wirklich zu liberalisieren. Ökonomisch gesehen, ist die Integration von Stromnetz und Betreibern völliger Schwachsinn: Alle Ökonomen wissen, dass Marktwirtschaft mit Monopolen nicht funktionieren kann. Und wir wissen auch, dass soziale oder ökologische Kosten internalisiert werden müssen. Das ist doch gerade der Witz der Marktwirtschaft: Wer Kohlendioxid nicht gezielt teurer macht, der will keine Marktwirtschaft.

Übersetzt heißt das, die Politik weigert sich, Politik zu machen?

Ja. Mit der Stromwirtschaft ist es wie mit einem kleinen Kind. Man soll ihr alle Freiheiten lassen. Das kann aber nur funktionieren, wenn sie sich an einige Regeln und Verbote hält. Eine solche Regel muss lauten: Die Tonne Kohlendioxid kostet zwischen 20 und 30 Euro. Politik kann das nur erreichen, wenn sie erstens weniger Zertifikate ausgibt und diese zweitens zwingend versteigert.

Folgt man Ihrem Bild, sind die handelnden Akteure der deutschen Bundesministerien schlechte Eltern. Wer könnte denn als Jugendamt fungieren?

Die EU. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass nur noch die EU retten kann. Umweltkommissar Stavros Dimas hat zweifelsfrei den Vorteil, keine Wahlen mehr gewinnen zu müssen. Im Gegenteil: Er hat die Chance, in die Geschichte eingehen zu können. Aus unseren Gesprächen entnehme ich, dass er das Problem begriffen hat. Setzt er sich jetzt deutlich stärker gegen den deutschen Wirtschaftsminister durch, könnte ein Durchbruch gelingen. INTERVIEW: NICK REIMER