„Mehr als eine Person“

Warum artet die Trennung zwischen Trainer Finke und dem SC Freiburg in ein Drama aus? Das Chaos ist typisch für eine gescheiterte Nachfolge in Familienbetrieben, sagt der Psychologe Hans-Georg Huber

Der Pessimist bekommt die Krise, wenn der Visionär eine tolle Idee hat

INTERVIEW PETER UNFRIED

Herr Huber, ganz Freiburg tut sich schwer mit der Trennung von SC und langjährigem Trainer Volker Finke. Warum ist das so ein Drama?

Hans-Georg Huber: Weil der SC für eine spezielle Vision und Philosophie steht und gleichzeitig über 16 Jahre von zwei starken Persönlichkeiten geprägt wurde. Das macht die Nachfolgeregelung eher vergleichbar mit der Nachfolge in einem Familienunternehmen als in einem Sportverein.

Inwiefern?

Sowohl für den Präsidenten Stocker als auch Finke geht es um ihr Lebenswerk. Da spielen Emotionen zwangsläufig eine große Rolle. Gleichzeitig sind beide wesentliche Pfeiler der Identität des SC. Geht einer, wird das ganze System instabil, wenn sie nicht erkennbar zusammen die Weichen für die Zukunft stellen. Dadurch findet jetzt eine Polarisierung im Umfeld statt, die für zusätzliche Emotionen bei Fans, Mitarbeitern und Mannschaft sorgt. Dieses emotionale Chaos ist typisch für eine gescheiterte Nachfolge in Familienunternehmen.

Was läuft schief ?

Der Vorstand hat die Tragweite der Entscheidung völlig unterschätzt. Und jetzt ist kein roter Faden mehr erkennbar, sondern nur noch der Versuch, irgendeine Rettungsleine zu finden. Man hat versäumt, rechtzeitig eine klare Nachfolgestrategie zu entwickeln, die sowohl die besondere Identität des SC bewahrt als auch den SC behutsam von Stocker und Finke unabhängig macht. Stattdessen diskutiert man nur über die Personen, wer recht und wer Unrecht hat, und schaukelt die Emotionen damit weiter hoch. Die Befriedung muss aus dem Verein und von den Protagonisten kommen, die Fans können das nicht leisten.

Ist es dafür besser, wenn Finke aufsteigt oder wenn er nicht aufsteigt?

Natürlich wäre es für den SC gut, wenn er aufsteigt. Wenn dies aber als Beweis dafür herhalten soll, wer nun Recht hatte oder Unrecht, wird die Identität des SC so oder so beschädigt und die Polarisierungen bleiben bestehen. Das wäre eine große Zukunftshypothek, auch für die Nachfolger von Finke und Stocker.

Der Vorstand hat soeben einen Aufnahmestopp für Neu-Mitglieder angekündigt. Damit wollten Finke-Anhänger eine außerordentliche Mitgliederversammlung herbeiführen.

Kein Verein würde das zulassen, dass Interessengruppen in so einer Situation Einfluss nehmen. Aber es ist ein taktischer Fehler, einfach zu sagen, wir machen das nicht. Damit ignoriert man das Problem. Man hätte die Form ablehnen, aber dieser Gruppe dennoch ein Angebot machen müssen. So erreicht der Vorstand wieder einmal das Gegenteil von dem, was man erreichen will. Das ist typisch für die Situation.

Wie kriegt man eine Nachfolge im Familienunternehmen SC Freiburg gut hin?

Es ist sinnvoll, die Diskussion von den Personen unabhängig machen und stattdessen das Modell SC Freiburg wieder in den Vordergrund stellen. Man muss den Nachfolgeprozess strategisch angehen, denn er ist für die Zukunft mindestens so wichtig wie der sportliche Erfolg. Dazu braucht es sowohl klare und attraktive Zukunftsziele als auch Bewahrungsziele für das besondere Vermögen des SC Freiburg.

Was heißt das?

Wofür steht der SC Freiburg als Modell? Was gilt es davon zu bewahren und was weiterzuentwickeln? Und wofür stehen die Personen Finke und Stocker in diesem Modell und was von Ihren Ideen und besonderen Fähigkeiten gilt es unabhängig von ihren Personen zu bewahren? Stattdessen haben Tagesaktualität und Emotionen entschieden. Die Trennung war nicht das Ergebnis einer Nachfolgestrategie und damit eine relativ zufällige Entscheidung, die viel kaputtmacht.

Falscher Zeitpunkt?

Ja, die Nachfolge kommt zwei, drei Jahre zu früh und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, weil der Verein aktuell immer noch von den Personen Finke und Stocker abhängig ist.

Welche Zukunftsziele könnte man formulieren? Rein äußerlich scheint der SC ans Wachstumslimit gestoßen.

Eben, das ist das zweite große Problem. Das Stadion ist ausgebaut, die Fußballschule funktioniert, professionelle Strukturen wurden etabliert. Das waren wesentliche Aspekte der gemeinsamen Vision, und solange es dort kontinuierlich voranging, war der SC relativ immunisiert gegen sportliche Misserfolge. Äußerlich ist man jetzt an eine natürliche Wachstumsgrenze gestoßen, jetzt geht es um das innere Wachstum im Verein.

Was meinen Sie damit?

Man hat frühere SC-Spieler als Trainer, Manager und Mitarbeiter an Bord geholt. Denen muss man jedoch auch die Zeit geben, in diese Rollen hineinzuwachsen und ihnen einen Vertrauensvorschuss geben. Stattdessen wurden diese Personen bei der Trainer-Entscheidung im Wesentlichen übergangen und dadurch gleich wieder beschädigt. Gleiches gilt für das Nachwuchszentrum. Bis der SC wirklich die Früchte der Fußballschule ernten kann, braucht es ebenfalls noch 2, 3 Jahre. Für diese Übergangszeit braucht man gute Nerven, aber die liegen blank.

HANS-GEORG HUBER, 53, ist als Psychologe spezialisiert auf heikle Entwicklungsprozesse in Unternehmen. Er ist Autor der Bücher „Sinnvoll erfolgreich“ und „Nachfolge in Familienunternehmen“. Der langjährige Coach von Spitzensportlern lebt in Freiburg 300 Meter vom SC-Stadion entfernt und ist seit vielen Jahren Mitglied des SC Freiburg.

Finke und Stocker haben lange funktioniert.

Ja, sie waren ein Tandem: Stocker der Pessimist, Finke der Visionär. Die haben wunderbar zusammengearbeitet, haben sich dabei aber mit Sicherheit auch gequält.

Warum das?

Der Pessimist bekommt die Krise, wenn der Visionär mal wieder eine tolle Idee hat. Und der Visionär, wenn der Pessimist dauernd sagt, das geht nicht. Das ist anstrengend und belastet eine Beziehung. Solange das gut läuft, hält man das aus.

In dieser Krise nicht mehr.

Das ist ja das Absurde, beide versuchen auf ihre Art die Vision des SC als Ausbildungsverein zu retten. Stocker sieht als Pessimist die Finanzierung der Fußballschule in Gefahr, wenn der SC in die Regionalliga absteigt, und entlässt Finke. Und Finke als Visionär vertraut in das Potenzial seiner jungen Mannschaft und eilt von Sieg zu Sieg. Am Ende könnten beide Recht behalten, wenn am Saisonende die besten Spieler gehen sollten. Dann hat Finke gezeigt, dass die Mannschaft bundesligatauglich ist und Stocker, dass es mit den verbleibenden Spielern nur für einen Mittelfeldplatz in der 2. Liga reicht. Das ist ja seine Zielvorgabe für den neuen Trainer. Der große Verlierer wäre dann der SC Freiburg, denn ambitionierte Nachwuchsspieler werden sich dann lieber einem ebensolchen Verein anschließen.

Einige in Freiburg hassten den omnipotent erscheinenden Finke richtig. Nun schlägt das bei manchem um in neue Sympathie. Woran liegt dieser plötzliche Umschwung?

Finke ist mehr als eine Person. Er ist ein Teil der Identität des SC Freiburg. Das wird den Leuten umso klarer, je näher der Abschied rückt. Sie haben Angst, mit Finke auch den SC Freiburg zu verlieren.