waltraud schwab über den klimawandel im kleinen
: „Bring mir Tee.“ Oder: „Wo bleibt der Regen?“

Kaum steht fest, dass die Welt erhöhte Temperatur hat, bekommt meine Freundin Fieber. „Bist du sicher, dass du das richtig verstanden hast?“, frage ich. „Doch nicht du, die Erde ist gemeint. Die Eisberge, die verschwinden. Die Eisbären, die aussterben. Hamburg, das wie New Orleans im Wasser steht. Sylt, das zu Atlantis wird, und die Brandenburger Monotonie, die bald Sahara heißt.“

Der Zeitpunkt für Scherze indes ist schlecht gewählt. Meine Freundin ist nicht offen für Zustände, die sich jenseits ihres ureigensten Ichs abspielen. Sie ist schlapp, ihr Mund trocken, ihr Hals rau, ihre Nase aufgerissen, ihr Kopf rot. Sie brennt innerlich. Bei ihr ist der Klimawandel in den Körper eingedrungen. Ihre Lebensgeister verdorren. „Bring mir Tee“, sagt sie. Soll heißen: „Wo bleibt der Regen?“ Zu diesem Zeitpunkt hatte es fast sechs Wochen lang keine Niederschläge mehr gegeben in unseren Breiten. Tags darauf sage ich: „Du siehst schon viel besser aus.“ Es ist eine Lüge und sie wird Lügen gestraft. Denn die Freundin geht zur Ärztin und kommt mit Antibiotika zurück. Sie hat eine Sommergrippe. Mitten im Frühjahr? „Eine Grippe kennt keine Jahreszeiten“, sagt eine Anruferin, die schlauer ist als wir, die wir die Klimaapokalypse verinnerlicht haben. Mit ihren Worten will sie uns trösten.

Am nächsten Tag geht es meiner Freundin kaum besser. Sie hat schlecht geschlafen. Na ja, das ist eben so. Überraschenderweise jedoch bin ich aber diejenige, die nicht wach wird. Es muss die Frühjahrsmüdigkeit sein, sagen Menschen, die es wissen. Und weil der Frühling ein Sommer ist, kommt die Müdigkeit mit einer Wucht, die Zwischentöne, laue Lüfte und Leichtigkeit nicht kennt. Diese Frühjahrsmüdigkeit ist bedingungslos. Ausgeliefert lege ich den Kopf auf den Tisch mitten im Restaurant. „Tragt mich nach Hause.“

Es sollte weitere 24 Stunden dauern, bis aus meiner Frühjahrsmüdigkeit ebenfalls eine Sommergrippe erwächst. Hier ist sie, die viel gefürchtete erhöhte Temperatur! „Bist du sicher, dass du da nicht etwas falsch verstanden hast?“, fragt mich meine Freundin frech. „Nicht du, die Erde ist gemeint. Die Eisberge, die verschwinden. Die Eisbären, die aussterben. Hamburg, das wie New Orleans im Wasser steht.“

Der Zeitpunkt für Scherze indes ist sehr schlecht gewählt. Zum Lachen ist mir nicht. Ich bin schlapp, mein Mund trocken, mein Hals rau, meine Nase aufgerissen, mein Kopf rot. „Bei mir ist der Klimawandel in den Körper eingedrungen“, jammere ich. Ich habe eine Sommergrippe mitten im Frühjahr. „Bring mir Tee.“ Soll heißen: „Wo bleibt der Regen?“ Zu diesem Zeitpunkt hat es bereits sechs Wochen lang keine Niederschläge mehr gegeben in unseren Breiten.

Das Ganze endet grotesk: Wir liegen beide im Bett. Jede vermisst das Alleinstellungsmerkmal, das einem gebührt, wenn man Grippe hat. Keine Gesunde ist da, die die Kranke pflegt. Wer den nächsten Tee kocht, wird ausgelost. „Stein schleift Schere. Du bist dran.“ Und wer kauft die nächste Lage Papiertaschentücher? „Schere schneidet Papier.“ Beim nächtlichen Inhalieren hängen unsere Köpfe versteckt unter Handtüchern nebeneinander über den Töpfen mit Kamillenaufguss. Absichtlich setzen wir uns vors Fenster, damit alle aus dem gegenüberliegenden Haus uns dabei zusehen können. Denn der Klimawandel und damit die erhöhte Temperatur geht – das haben wir in dieser Woche kapiert – alle gleich an.

Das Wochenendwetter: Regenschauer, etwas Sonne, frischer Wind Der Tipp: Wadenwickel helfen gegen leichtes Fieber Wo laufen Sie heiß? erhoehtetemperatur@taz.de