: Hauptschulpreis gehen die Schulen aus
Gestern prämierte Bundespräsident Köhler die beste Hauptschule. Unter den Kandidaten sind aber kaum reine Hauptschulen. In Baden-Württemberg fordern 100 Rektoren in einem offenen Brief, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen
VON CHRISTIAN FÜLLER
Als Bundespräsident Horst Köhler gestern die besten Hauptschulen auszeichnen wollte, musste er sich in Schloss Bellevue genau umschauen. Denn Hauptschulen in Reinform waren nicht leicht zu finden. Unter den 16 deutschen Schulen, die den Hauptschulpreis der Hertie-Stiftung erhielten, fand sich alles mögliche – Gesamtschulen, Regelschulen, Werkstattschulen, Mittelschulen – aber nur noch sechs Hauptschulen.
Damit ist die Hauptschulkrise bei jenem Wettbewerb angekommen, der dieser aussterbenden Schulform auf die Beine helfen sollte. Umso trotziger lobten die Organisatoren des Wettbewerbs die Hauptschule über den grünen Klee. „Wir beobachten die Metamorphose der Hauptschule zu einer leistungsfähigen Schule“, meinte etwa der Vorsitzende der Hertie-Stiftung, Michael Endres.
Was er verschwieg: Selbst in der Hertie-Stiftung gibt es ernsthafte Überlegungen, den Hauptschulpreis sterben zu lassen. Die Jury habe sich darüber unterhalten, berichtete ein Teilnehmer, welchen Sinn der Preis noch mache „angesichts der Situation im Land“. Die Hauptschule verschwinden nämlich von der Landkarte. Gab es 1992 in Deutschland noch 6.500 Hauptschulen, sind es inzwischen nur noch 5.000.
Die besten drei Schulen sind die Möhnesee-Gemeinschaftshauptschule in Nordrhein-Westfalen, die Hauptschule Weinbergstraße in Neumarkt (Bayern) sowie die Grund- und Hauptschule Schafflund in Schleswig-Holstein. Auch die Schafflunder Schule dürfte schon bald keine Hauptschule mehr sein. Sie hat den Antrag gestellt, Gemeinschaftsschule zu werden. Dann werden auch dort der Realschulabschluss und irgendwann das Abitur angeboten. „Es ist schwierig, schon am Ende der 4. Klasse eine verbindliche Empfehlung für den weiteren Schulweg zu geben“, sagte Konrektorin Christine Engelhaupt der taz. „Wir wollen daher, dass unsere Schüler länger gemeinsam lernen.“
Allerdings ist der freiwillige Übergang der Schulen zu integrierten Schulen kein Zuckerschlecken. 100 Rektoren von Grund- und Hauptschulen in Baden-Württemberg haben in einem offenen Brief das neuerliche Fitnessprogramm des Landes für die Hauptschule kritisiert. Das Programm suggeriert, so die Schulleiter, „dass die nicht vorhandene Akzeptanz dieser Schulart an deren mangelhafter Arbeitsweise liege“. Sie forderten, „den längst fälligen Wechsel weg vom selektiven dreigliedrigen Schulsystem einzuleiten.“ Baden-Württembergs Bildungsminister Helmut Rau gab gestern im Schloss Bellevue einen anderen Weg vor: „Viele Hauptschulen wollen die Schüler zurück, die an die Realschule gehen“, sagte Minister Rau der taz und ergänzte: „Das werde ich nicht zulassen.“
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