„sicko“, kuba etc.
: Ein Coup vor Cannes

Gut eine Woche, bevor sein neuer Film „Sicko“, angekündigt als Frontalangriff gegen das marode US-Gesundheitssystem, in Cannes Premiere haben wird, erhält der Dokumentarpolemiker Michael Moore publizistische Schützenhilfe von der US-Regierung. Die für die Überwachung des Kuba-Embargos zuständige Behörde des US-Finanzministeriums – sie kürzt sich, phonetisch durchaus stimmig, OFAC ab – schrieb Moore vergangene Woche einen Brief, in dem sie den Filmemacher beschuldigt, im März diesen Jahres unbefugt und unter Verstoß gegen die Embargobestimmungen nach Kuba gereist zu sein. Eine Ausnahmegenehmigung habe er zwar im Oktober 2006 beantragt, doch sei sie wegen fehlender Unterlagen nie erteilt worden. Moore hat jetzt 20 Werktage Zeit, um dem Büro detailliert Bericht zu erstatten; andernfalls drohen ihm saftige Geldstrafen, vielleicht sogar Gefängnis. Das Verbot für alle unter US-Rechtsprechung lebenden Personen, zu anderen als ganz besonderen Zwecken – Ausnahmegenehmigungen gibt es etwa für JournalistInnen – nach Kuba zu reisen, ist Teil des seit nunmehr über vier Jahrzehnte währenden und unter der Regierung Bush mehrmals verschärften Wirtschaftsembargos gegen das sozialistisch regierte Kuba.

Moores Aufenthalt dort diente offenbar einer besonders zugespitzten Polemik: Mit elf Arbeitern, die beim Aufräumen am New Yorker Ground Zero durch den giftigen Staub erkrankten und in den USA wegen mangelnder Krankenversicherung keine Behandlung bekommen, reist Moore nach Kuba, um sie dem dortigen kostenlosen Gesundheitswesen anzuvertrauen – und um all das im Film festzuhalten. Kinematografisch und politisch ist das an Plumpheit kaum zu übertreffen. Doch durch das Eingreifen der OFAC-Behörde kann sich Moore einer ähnlichen Aufmerksamkeit sicher sein wie vor drei Jahren, als sich der Walt-Disney-Konzern weigerte, „Fahrenheit 9/11“ in den USA in die Kinos zu bringen. Der Film gewann damals in Cannes die Goldene Palme und spielte weltweit 220 Millionen Dollar ein.

Prompt lässt Moore erklären, er befürchte, die Bush-Regierung werde verhindern, dass die auf Kuba gedrehten Teile in den USA gezeigt werden dürften. Er habe vorsorglich eine Kopie des Films an einen sicheren Ort gebracht und werde darum kämpfen, dass die US-Bevölkerung den Film sehen dürfe – obwohl das eigentlich niemand in Frage gestellt hatte. Moore ist eben ein begnadeter Dramatiker der Selbstinszenierung. BERND PICKERT